Paarungszeit: Roman (German Edition)
im Zimmer der Brulée verschwunden war.
Den ganzen nächsten Tag hörte Therese nichts von ihrer Tochter. Auch nicht am übernächsten. Ans Telefon ging Susn nicht. Sollte sie noch einmal vorbeischauen? Aber sie hatte so wenig Zeit! Jetzt putzte sie auch noch selbst. Bürgermeisterinnenwürde hin oder her. Kathi hatte sie gekündigt. Was denn sonst, nachdem Toni in dieser Schluss-mit-dem-Schweinkram-Demonstration mitgelaufen war. Über die sogar das Kreisblatt berichtet hatte. Nicht unbedingt zu Therese Englers Gunsten. Aber wie sagte ihre Wahlberaterin: »Lieber eine negative Publicity als gar keine Aufmerksamkeit.«
Nachdenklich rückte Therese das Nachtschränkchen ein wenig zur Seite, um mit dem Staubsauger dahinterzukommen. Sie befand sich im Gartenzimmer, dem Raum, den Lucien bewohnte. Überall standen und lagen Instrumente, mehrere Akkordeons in verschiedenen Größen, kleine Gitarren, dazu elektronische Geräte, und nötigten sie zu einer Art Staubsauger-Slalom. Sie rückte das Nachtschränkchen wieder an seinen Platz. Das Bild darauf, eine Fotografie in einem Rahmen, war umgefallen durch ihr Gerempel, sie stellte es vorsichtig wieder hin. Es zeigte einen melancholisch dreinblickenden jüngeren Mann mit Schnauzbart. Sicher Luciens Freund. Ob er Sehnsucht nach ihm hatte? Ob er Lucien nachreisen, also ebenfalls eines Tages hier auftauchen würde? Falls sie noch länger blieben. Delphine gefalle es in Neuenthal, hatte Cedric beim Frühstück angedeutet, sie sei sehr inspiriert. Und Lucien wolle sowieso die deutsche Volksmusik erforschen. Von Mattjö hatte Cedric nichts gesagt. Einmal hatte Matt noch angerufen, gehetzt. Etwas bei einem Einbau habe sich verzögert, er könne nicht weg. Dann fragte er nach der Wahl, ob die neuen Plakate denn wirkten? Ha!
Sie hatte kein Wort von den Aufklebern gesagt, auch sonst nichts weiter. Ihre Sorgen gingen ihn nichts an. Energischer als nötig klopfte sie Luciens Kissen aus. Um ihre Zimmer ungestört herrichten zu können, hatte sie die Franzosen zum Spaziergang geschickt. Sie kannten mittlerweile den Tännchen-Rundweg, den Aussichtsturm und die alte Uferstraße nach Mohnau. Und immer öfter wurden sie angehalten, weil Urlauberinnen Delphine de Brulée um ein Autogramm baten.
Angefangen hatte alles mit der Yoga-Ananas-Schnoin, die Delphine als Erste angesprochen hatte.
»Super! Das schlachten wir aus! Das ist unsere Rettung!« Christiane Breitner war begeistert gewesen. »Wie findet ihr das: Unsere Kandidatin tritt mutig allen Schweinkram-Gerüchten entgegen und holt den Stein des Anstoßes selbst in den Buchladen zu einer Signierstunde. Wetten, der Laden brummt?«
Die Mitglieder der Tourismusinitiative Neuenthal, die gestern zu einer außerordentlichen Versammlung im Edekamarkt zusammengekommen waren, hatten erst verblüfft geschaut, dann begeistert zugestimmt. Bis Quirin zu bedenken gab, dass Neuenthal seines Wissens keinen Buchladen aufzuweisen habe. Ein Argument, das von Franzi und Anderl gleichzeitig überbrüllt wurde. »Dann mach ma’s hoit hier im Edeka, i hob wenigstens Zeitschriften!«, rief Franzi, und Anderl konterte mit einem schlagfertigen: »Ah geh, was brauchts denn Bücher! A kulturelle Atmosphäre brauchts, wie bei uns in der Feuerwehrkneipe!«
Anderl und Resi waren nach der Demonstration zu Thereses Seite übergelaufen, gefolgt von Amrei und ihrem Mann, Nat Wildmoser, Franzi und Özcan. Es blieb Therese nichts übrig, als großmütig alle Bemerkungen über die Proben und die an Fredl verliehene Feuerwehrleiter zu verzeihen.
»I hob gar ned gewusst, dass strammer Max so kulturell is!«
Franzi beugte sich über ihre Tiefkühltruhe, wühlte darin und förderte zwei Pizzakartons und einen vollkommen vereisten Stapel DIN-A4-Briefumschläge zutage. Mei. Wenn Therese Engler trotz aller Schweinkram-Schwierigkeiten doch noch Bürgermeisterin würde, müsste sie das Problem Poststelle Neuenthal energisch angehen. Jeder wusste, dass Franzi der Dreifachbelastung Bierkönigin – Edekamarktbetreiberin – Poststellenverantwortliche nicht gewachsen war.
»In der Tauchschule«, unterbrach Christiane Breitner ihre Gedanken. Sie hatte eine Weißweinflasche aus dem Regal genommen, begutachtete das Etikett. »Die Tauchschule, das passt wunderbar zu ihrem letzten Roman: Latex und Lavendel.«
»Zu den Wogen passts auch.« Franzi studierte versonnen das Haltbarkeitsdatum auf den Pizzakartons, dann die Adressen auf den Umschlägen, zuckte mit den Achseln und legte
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