Paarungszeit: Roman (German Edition)
war. Mein Leben war aus den Fugen geraten, aus den Nähten geplatzt wie ein zu enges Kleid, und ich ahnte, es würde noch schlimmer kommen.
Wir fuhren näher an die Prozession heran. Einige Teilnehmer trugen Transparente. Ich erkannte Fredl Weidinger, in Zivil, und Toni. Hinter ihnen einige Nachbarinnen, die Bibliothekarin der Gemeindebücherei und Veit Strobl. Zwischen den Urlaubern am Straßenrand kratzte sich der Bürgermeister am Kopf, neben ihm standen Franzi und Özcan, auch Anderl und Resi von der Feuerwehrkneipe liefen nicht mit in dem dünnen Zug. Vom Parkplatz am See her sah ich Therese kommen, im Laufschritt, mit wehendem Dirndl. Und jetzt erst drang zu mir durch, was auf den Transparenten stand: Schluss mit dem Schweinkram! Kein Porno in der Pension!
Gina begann zu kichern, obwohl es offensichtlich nichts zu lachen gab. Im Schritttempo fuhren wir auf die Prozession zu, und ich wünschte mir innigst, längst ausgewandert zu sein, auf einen friedlichen, einsamen Planeten, wünschte mir, außerirdische Gaukler würden landen und die beiden Schaulustigen vor dem Edekamarkt, die ich jetzt mit Entsetzen erkannte, mit einer kleinen Meteoritenjonglage ablenken. Aber nichts passierte. Ich schloss kurz die Augen und öffnete sie wieder. Sie waren immer noch da, halbwegs verdeckt hinter Franzi: meine künftigen Schwiegereltern.
16.
A usgerechnet! Die Brulée! Stöckelte neben ihr, Therese Engler, her auf ihren bestimmt sakrisch teuren französischen Schnallenschuhen mit Absatz und half, die Plakate mit den Schweinkram-Aufklebern zu entfernen. Der Demonstrationszug hatte sich aufgelöst. Lächerlich kurz war er gewesen, nichts im Vergleich zum Neuenthaler Faschingszug. Trotz allem ungeheuerlich. Immerhin hatten sich viele herausgehalten. Franzi und Özcan, Amrei und Micha, die neben der Feuerwehrkneipe wohnten, Resi und Anderl, der jetzt die zerknüllten Plakatreste aufkehrte. Hinter ihm karrten Lucien und Cedric aufkleberfreie Plakate aus dem von Matt gelieferten Vorrat heran. Plakate, die Therese nun höchstpersönlich auf die leeren Flächen klebte. Konzentriert. Nur auf das Kleben. Nicht auf das Gemurmel der Umstehenden. Nicht auf die Gedanken, die in ihrem Kopf durcheinanderschwirrten wie aufgescheuchte Mücken:
Wer würde sie jetzt noch wählen?
Wo war ihre Wahlberaterin, wenn man sie brauchte?
Warum war sie verschwunden, ließ Therese Engler mit dieser Schmach allein?
War es nicht widerlich, wie Toni, ihre ehemals beste Freundin, neben Veit Strobl hergegangen war, fast hätte sie sich noch bei ihm untergehakt! Veit Strobl war es gewesen, der Toni und Therese auseinandergebracht hatte, vor Jahren.
Nicht daran denken, nur ans Plakatekleben. Sie arbeiteten Hand in Hand: Die Brulée kratzte mit einem Spachtel die Fläche frei, Lucien bepinselte sie mit Leim, Cedric reichte Therese das Plakat, Therese klebte, die Brulée strich glatt. Und weiter. Kratzen. Pinseln. Kleben. Streichen. Sonst nichts. Ganz meditativ.
Vor Jahren, nach dem Meditationskurs an der Kreisvolkshochschule, hatte Therese ein Buch über Zen-Meditation gelesen. Man musste ganz und gar eins mit dem sein, was man gerade tat, auch bei banalen Dingen wie Kartoffelschälen oder Sockensortieren. Das war die Kunst des Zen. Und jetzt praktizierte Therese sozusagen Zen in der Kunst des Plakateklebens. Es fühlte sich gut an, man war in einer eigenen, gelassenen Aura, ging auf in etwas …
»Therese?« Cedric hatte den Strom der Handgriffe unterbrochen, riss sie aus ihrer beinahe erleuchteten Stimmung. »Fescht is beautiful, was bedeutet das?«
Schmerzhaft drängte sich die Außenwelt wieder auf, als Therese Englers Blick Cedrics ausgestrecktem Zeigefinger folgte: zum Edekamarkt. Wo Franzi das ungewohnte Leben auf der Einkaufsmeile und das schon sommersaisonwürdige Wetter für ein wenig Eigenwerbung nutzte. Auf einem Tisch hatte sie eisgekühlte Bierflaschen verschiedener Brauereien aufgebaut, dezent flatterte ihr blauweißes Banner dahinter: Franzi, Bierkönigin 2011, Wiederwahl: 2013! Bier macht fescht, und fescht is beautiful.
»Fescht?« Therese Engler riss sich zusammen, wandte sich Cedric und den sie ebenfalls fragend ansehenden anderen Franzosen zu. »Na ja. A ordentliches Weibsbild.« Sie deutete Franzis ausufernde Konturen in der Luft an. Irrte sie, oder blitzten Luciens Augen amüsiert? Verstand er sie?
»A Bierkönigin must be fescht«, erklärte sie ihm. »That’s what the Ausland thinks about Germany and Bavaria. Duttln and
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