Paarungszeit: Roman (German Edition)
war ein Anzeichen einer schweren Störung, und wenn ich schon Säume, Nähte, Stoffe flüstern hörte, würde ich mich vielleicht schon bald in Franzis Edekamarkt mit dem angegammelten Gemüse unterhalten. Schnell rief ich mir meine reale Situation ins Gedächtnis, die Eckpfeiler meines Elends: Ich hatte fünf ungeeignete Hochzeitskleider, einen Verlobten, der eine Seelenverwandtschaft mit einer anderen Frau hatte, und die Aussicht auf eine von Riesenameisen, Giftspinnen und Mega-Asseln dominierte Flitterwochenreise.
Aber angenommen, nur einmal angenommen, ich würde nicht mitfahren? Einfach darauf bestehen, meinen Anteil der Reise zu stornieren? Würde Timo sich trauen, Goldflossy mitzunehmen, die ja sicher auf eine solche Reise brannte? Wäre dies nicht ein idealer Test, um festzustellen, ob er mich wirklich liebte? Und würde ich wenigstens einen Teil der Kosten zurückbekommen, um sie in etwas Sinnvolleres zu investieren, etwas, das mir – Susn Engler – wichtig war? In ein Feuerwerk bei der Hochzeit? Oder in einen Gospelchor? Oder in einen Wochenendkurs: So schreiben Sie einen Roman. Geleitet von Cedric Rozier. Dies sei eine Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln, hatte er gesagt, vorhin, als wir zusammen von der Uferbank zur Tauchschule gegangen waren. Er leite öfter solche Kurse, in der Schweiz, in Frankreich, aber auch in Deutschland.
Ich schloss einen Moment die Augen, dann verließ ich das Schlafzimmer, tänzelte barfuß durch den Flur. Ich würde jetzt mit Timo reden. Über Zierfische. Thailand. Und die Tür, die ich eben vor mir gesehen hatte, hinter geschlossenen Lidern: blassviolett angestrichen, unscheinbar, aus Holz, ein wenig sah sie aus wie die Tür zu der Spelunke aus der Ihajeflo-Geschichte, und hinter dieser Tür, wusste ich, lag eine Welt.
Neuenthal im Frühling, das heißt nicht nur majestätische Sonnenuntergänge über dem Brachsee, aufregende Düfte nach Flieder und Schweinsbraten – woher sollte dieser Duft eigentlich kommen, in der Feuerwehrkneipe roch es bestenfalls nach angebranntem Rührei, egal! – … nicht nur Fun-Shopping auf der Einkaufsmeile, nein, es heißt auch Ringen um das Gute, das Gerechte. Zum ersten Mal in Neuenthals wechselvoller Geschichte kämpft eine Frau um das Amt des Bürgermeisters: Therese Engler.
Zufrieden mit dem Geschriebenen steckte Therese ihren Notizblock wieder ein. Seit Christiane das Rededuell angekündigt hatte, wurde sie überfallen von neuen Ideen, für Wahlreden, für die Broschüre, auch für ihren Bürgermeisterinnen-Image-Film, den Quirin noch immer nicht in den Computer gespielt hatte, der Hundling! Und nur noch vier Wochen bis zur Wahl! Die große, mitreißende Rede beim Duell musste noch gründlich geprobt werden, alle Argumente, die sie auf Fragen aus dem Publikum abfeuern würde, bedurften genauester Vorbereitung. Wobei die Fragen aus dem Publikum vielleicht eher spärlich ausfallen würden, bei dem Interesse für Politik, das ein Durchschnitts-Neuenthaler normalerweise an den Tag legte. Auch etwas, das sie dringend ändern musste.
Den Notizblock in der Tasche, begab sie sich hinüber ins Gartenzimmer. Sie hatte sich angewöhnt, ihre Reden dort zu proben. Vor Lucien. Beim Putzen hatte es angefangen, und Lucien war hereingekommen, hatte ihr gelauscht. Sie brauchte Publikum. Und Lucien war der beste Zuhörer, den man sich vorstellen konnte.
»Ihr wollt unbehelligt und friedlich leben in unserem idyllischen Dorf!«, schmetterte sie ihm jetzt entgegen, noch in der Tür. »So wie ihr schon seit Jahrhunderten hier lebt, unangefochten von den Machenschaften und Verderbtheiten der großen Welt.« Nicht schlecht. Lucien sah von dem Instrument auf, an dem er herumbastelte – was war das eigentlich, eine Miniaturgitarre? –, und lächelte. Wie er sie ansah aus seinen grünen Augen. Unter seinem aufmerksamen Blick fiel es ihr leicht, sich zu immer neuen Höhen der Rhetorik aufzuschwingen, bisweilen erreichten ihre Reden beinahe Bundestagsniveau.
»Der Frieden in unserem idyllischen Dorf liegt uns allen am Herzen. Aber wir dürfen jetzt die Augen nicht verschließen. Vor dem Zustand, in den dieser Ort geraten ist. Nein, ich meine nicht die Fliegen an der Fensterscheibe vom Döner 24, dessen Besitzer sich neuerdings auch als Modedesigner begreift. Mei, lächerlich, jetzt macht er sogar Brautmoden. Nun gut, wer sich von ihm Hochzeitskleider schneidern lässt, der wird sich noch …« Kruzifix, sie war völlig vom Thema abgekommen, so sehr warf
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