Paarungszeit: Roman (German Edition)
Reaktion des Neuenthaler Pfarrers vor, wenn ich in diesem Kleid vor den Traualtar treten würde. Was würde er tun, entsetzt das Kruzifix hochhalten? Und wie müsste Timo gekleidet sein, um auch nur entfernt zu mir zu passen? Sollte ich Özcan danach fragen?
Schmarrn. Das Kleid, in verschiedenen, nicht unbedingt dezenten Farben gehalten, mit weiten Trompetenärmeln, weckte Assoziationen an durchgeknallte Feen, auch an etwas zu verspielte Gauklerinnen auf Mittelaltermärkten. Und ich plante weder eine Mittelalter- noch eine Phantasy-Hochzeit. Ich würde es auf keinen Fall tragen können. Obwohl ich noch nicht einmal schlecht aussah. Nur ungewohnt.
Sollte ich stolz darauf sein, dass ich es mittlerweile auf fünf Hochzeitskleider gebracht hatte?
Nummer eins: das Kleid meiner Schwiegermutter. Die sich vermutlich nicht mehr darauf freute, mich in die Flantschschen Familienverzweigungen einzutragen. Für sie war ich der Apfel der Sünde am Stammbaum.
Nummer zwei: Thereses schlichtes, beinahe mädchenhaftes Kleid, in dem sie – so konnte man es auch sehen – sich immerhin selbst treu geblieben war.
Nummer drei, Modell Alpenmädel, würde sie vermutlich erst dann zurücknehmen, wenn ich ihr drohte, es bei eBay zu versteigern.
Nummer vier in der traurigen Sammlung war Modell Sissi, zerfetzt, wie meine Träume von romantischer Liebe. Wir planten die Hochzeit, aber wir lebten nebeneinander her. Ich war in meine Ihajeflo-Geschichte versunken. Timo würde morgen auf Klassenfahrt gehen und setzte alles daran, vorher Zopodil auf den richtigen Weg zu bringen, der sich immer noch vor seinen Haremsdamen im Blumentopf verbarg. Die Antworten im Zierfischforum halfen nur bedingt weiter. hammerhai1 hatte gelästert: der typ hat ja wohl gar keine ahnung von betta splendens! glaubt der, in einem wildfluss in thailand gibt’s blumentöpfe?
Der Gedanke an Wildflüsse in Thailand erheiterte mich auch nicht unbedingt. Gina hatte ja recht, was die geplanten Flitterwochen betraf. Es würde kein Honeymoon-Hotel geben. Nur ein Zelt. Das Kostspielige an der Reise, für die wir – eher gesagt: ich! – auf Feuerwerk, Gospelchor, Kutsche oder Bootsfahrt verzichteten, war der Flug. Und vor allem der einheimische Führer. Plus die Besichtigungen von Lebendfischmärkten in verschiedenen Städten. Ich hasste Lebendfischmärkte. Und ich hasste Zelten. Dies wusste ich schon seit unserem ersten Camping-Urlaub. Obwohl damals der Blick durch die Brille der Liebe selbst Ameisen im Schlafsack rosig verbrämt hatte, ebenso Mückenstiche, nasses Gras am Morgen und nächtliche Kilometermärsche zum Toilettenhäuschen. In dem natürlich das Klopapier fehlte und bei dem eine Generalüberholung durch Matthias Glatthaler notgetan hätte. Jetzt verbrämte nichts mehr die Aussichten auf fehlendes Klopapier und Insekten im Schlafsack, die im thailändischen Urwald vermutlich um das Zehn- bis Hundertfache größer sein würden als Ameisen, ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie vermutlich Stacheln hatten. Oder Tausende von krabbelnden Beinchen. Gab es im Urwald nicht Riesentausendfüßler?
Und warum nahm ich all das auf mich? Nur, um nicht mehr Engler, sondern Flantsch zu heißen? Oder Engler-Flantsch? Wie sich das anhörte: Engler-Flantsch. Wie ein Name für einen besonders heiklen Sprung beim Eiskunstlaufen. Ein Sprung, der mit unsanfter Landung enden konnte. Was, zum Teufel, gab mir solche Gedanken ein? War es etwa … das Kleid? Hatte Özcan es mit irgendeinem … Zauber versehen? Unsinn. Aber trotzdem. Am besten, ich gab es gleich zurück. Vorsichtig begann ich die Haken zu lösen, die Özcan an der Vorderseite des Kleides angebracht hatte. Dazu seitliche Reißverschlüsse, bequem zu öffnen und zu schließen. Das ideale Hochzeitskleid für Singles, eins, in das man bequem ohne Hilfe hineinschlüpfen konnte. Aber, wie es aussah, nicht hinaus.
Was hinderte mich daran, das Kleid abzulegen, warum verharrten meine Hände über den Haken, ohne einen weiteren zu öffnen? Weich, so weich lag der Pannesamt auf meiner Haut, und die Stoffe des Rockes liebkosten meine Beine bei jedem Schritt, als ich mich vom Spiegel weg und durch den Raum bewegte, wie von einer höheren Macht gesteuert. Susn Engler, alles ist in Ordnung, schienen die Stoffe mir zuzuraunen, auch du bist in Ordnung, so wie du bist, jetzt, hier, in diesem Schlafzimmer, diesem Moment. Leicht fühlte ich mich, plötzlich beschwingt. Obwohl es nicht den geringsten Grund dafür gab. Realitätsverlust
Weitere Kostenlose Bücher