Paarungszeit: Roman (German Edition)
zum Garten hielt sie an, versuchte, zurück zu den hochdeutschen Regionen ihres Sprachzentrums zu finden.
»Ich wollt schon immer einen eigenen Laden aufmachen. Da hab ich mich eben verlobt. Aber ich hab sofort gewusst, es war ein Fehler. Ganz andere Freunde hab i gehabt als der Strobl. Auch damals hats des Biafuizl scho gebn, des, wo jetzt der Wildmoser der Wirt is, aber damals, weißt, ganz a verruchte Kneipn is des gewesen, da waren Leit aus dem ganzen Landkreis, auch politische, weißt. Und dann bin i nach Wackersdorf, demonstriern, und dann kam der Matt. Weißt was?« Sie blieb vor Lucien stehen. Er sah sie an. Ernst jetzt. Als wüsste er, wovon sie redete.
»Es is alles Schmarrn. Dass er sagt, er liebt mi, der Matt. A Schmarrn is des. Die Männer san alle gleich. Na, des weißt sicher auch, Lucien.«
Sie deutete auf das Bild des Mannes auf seinem Nachttisch. »Is er wenigstens nett, dein Freund, hosd mi? I mean nice, you have me?« Sie lächelte, zwinkerte ihm zu. »Oder is er auch so a Hallodri wie der Matt? Der Mattjö?«
»Mattjö?« Lucien schlug auf dem kleinen Instrument einen Akkord an, gefolgt von einer schnellen, beinahe ärgerlichen Melodie. Als sie weiterredete, dämpfte er die schrill nachklingenden Saiten mit der Hand ab.
»Der Matt, weißt, des war a Traum. An ihm hab i jeden Mann gemessen, auch den Baywatch aus Mecklenburg, koaner war guad genug. Aber es war halt a Traum. Der Matt jetzt, des is reality. Der Matt und die Delphine. You understand? Reality. A Beziehung. Zehn Jahre! Mit Höhen und Tiefen, weißt. Und die Delphine, die is in Ordnung, des passt scho. Sie hat gar ned gewusst, dass der Matt a Tochter hat. Er hots ihr ned gesagt, der Schuft. Und mir hat er vorgejammert, es dad eahm so leid, dass er sie ned hat aufwachsen sehn. Schmarrn, Lucien, Schmarrn! Von der anderen Schnoin, die nix mit der Susn zu tun haben wollt, hat er sich ja scheiden lassen. Und die Delphine hat selbst zu mir gesagt, er hätt die Susn besuchen können. Wenn sie gewusst hätte, dass er a Tochter hat! Der Cedric hat mir ja alles übersetzt.«
Wie ernst er nickte, als hätte er jedes Wort verstanden. Er schlug wieder einen Akkord an, flocht eine kleine Melodie hinein, die auf diesem winzigen Instrument tapfer klang, hoffnungsvoll. Dazu der Duft nach Flieder, der ins Zimmer strömte. Wie ein Zeichen Gottes. Ein Zeichen, sich von vergangenen Träumen abzuwenden und in die Zukunft zu schauen. Thereses Hand tastete wie von selbst nach dem Kreuz in ihrem Dekolleté. Dabei war sie nicht besonders religiös. Vielleicht deshalb, weil Gebete doch eine etwas zu einseitige Form der Kommunikation waren. Ein Telefongespräch, in dem sie den Schöpfer vorsichtig auf kleinere – und, ja!, auch größere – Fehler bei der Organisation der Welt hätte hinweisen können, wäre durchaus sinnvoller. War das schon Gotteslästerung, so etwas zu denken? Aber sie fühlte sich gar nicht gotteslästerlich, im Gegenteil, sie fühlte sich … aufgehoben …
Dann hörte Lucien auf zu spielen, und sie ließ das Kreuz los, rückte ihren Hut zurecht. Sie würde das Rededuell gewinnen und die erste Bürgermeisterin von Neuenthal werden. Gerade als sie fortfahren wollte mit ihrer Rede, huschte ein merkwürdiger, scheuer und sofort wieder verscheuchter Gedanke durch ihren Kopf: Und dann?
Ich sah auf von meinem Bildschirm. Inzwischen hatte ich sechzig eng beschriebene Seiten. Zeit für eine Pause, Zeit für ein Lachsfilet. Ich hatte es im Supermarkt gekauft, gleich nachdem Timo losgefahren war. Seine Klassenfahrt dauerte vier Tage, und bevor er zurückkam, würde ich eine Groß-Lüftungsaktion starten. Als ich in die Küche ging, streichelten die Stoffe von Özcans Kleid sanft meine Schenkel. Ich brachte es nicht über mich, ihm seine Kreation zurückzugeben. Weil ich mich von diesem Kleid – es war seltsam, doch ich fand keinen anderen Ausdruck dafür – verwöhnt fühlte. Und noch mehr: In Özcans Kreation war ich mir selbst fremd, und gleichzeitig kam ich mir vor wie die absolute Reinform von Susn Engler. Das Original. Als ob alle anderen Susns – diejenige Susn, die unter ihrer Pinguinfigur litt, diejenige, die Gina und Quirin insgeheim um ihre Liebe beneidete, diejenige, die von ihrer Märchenhochzeit träumte – nur Abzüge gewesen wären.
Und so, als selbstbewusstes, beinahe forsches Susn-Engler-Original, war ich gestern Abend ins Wohnzimmer gestürmt, um mit Timo über unseren Honeymoon im Urwald zu reden. Was ihm, wie immer,
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