Paarungszeit: Roman (German Edition)
ich ihn nicht erreicht hatte. Natürlich hatte ich mir ausgemalt, er sei gar nicht mit der Klasse in einer Jugendherberge, sondern zu Goldflossy gefahren. Zum Glück war ich gründlich von meinen Horrorphantasien abgelenkt worden. Durch die Probe in der Feuerwehrkneipe, die ein so unangenehmes Ende gefunden hatte.
Fredl Weidinger konnte niemand ernst nehmen, aber die Strobls hatten mir Angst gemacht. Wie hasserfüllt der alte Strobl Therese gemustert, wie widerlich Alexander Strobl uns angeglotzt hatte! Erst mich, dann Gina. Das triumphierende, wissende Grinsen in seinem Gesicht. Quirins geballte Fäuste. Quirin hasste Alexander Strobl seit der gemeinsamen Schulzeit – und ganz besonders seit dem letzten Sommer, als Alex erst mich, dann Gina zu einer nächtlichen Fahrt in seinen Porsche gelockt hatte. Ein Ereignis, das wir zwar ab und zu kichernd besprachen, Gina und ich, an das wir aber beide mit Reue und einem gewissen Schaudern dachten.
Zum Glück war es gestern nicht zu der Schlägerei gekommen, die schon in der Luft gelegen hatte, aber die Strobls waren viel zu siegesgewiss abgezogen, Fredl und den Bürgermeister im Schlepptau. Bei der unweigerlich folgenden Krisenbesprechung gab sich die Lebensabschnitts-Durcheinanderbringerin meines Onkels ungewohnt feurig, versprach, bis zum Kreisrat zu gehen und für Therese zu kämpfen. Unterstützt von Delphine und Lucien, die auf Französisch schon die Revolution ausriefen, zumindest soweit ich sie verstand. Cedric übersetzte das Nötigste, Quirin, Gina und sogar Anderl versicherten ihre Solidarität, nur Therese blieb merkwürdig still. Beinahe tat sie mir leid. Ein völlig ungewohntes Gefühl, erzählte ich Cedric, als er mich nach Hause begleitete.
Wir schlenderten die alte Uferstraße entlang, über die Nordic-Walking-Strecke, die mondbeschienen und komplett frei von Nordic-Walking-Pinguinen vor uns lag, nur nachttrunkene Falter kreuzten unseren Weg.
»Es ist sicher nicht leicht mit ihr«, sagte Cedric, und auf einmal sprudelte alles aus mir heraus: Dass ich gar nicht so viel dagegen hätte, wenn der Gegner mit diesem Wahlprüfungsverfahren durchkäme, wie sehr ich unter Thereses Plakaten und Wahlaktionen litt, so wie ich schon als kleine Schneeflocke unter ihren Werbemaßnahmen für ihr Geschäft gelitten hatte. Vorübergehend, auch das erzählte ich ihm, hatte ich als Kind sogar geglaubt, über mein Leben wache kein persönlicher Schutzengel, sondern eine persönliche Peinlichkeitsbeauftragte, schließlich hatte niemand sonst eine Mutter, die Cowboyhüte trug und Wackersdorf-Geschichten erzählte, die sich vor Häusern ankettete, sich mit jedem im Dorf anlegte und einen Skandal nach dem anderen provozierte. Was sie jetzt gerade angestellt habe, wolle ich gar nicht wissen, erklärte ich Cedric, und er lachte. Zu meinem eigenen Erstaunen lachte ich mit.
Weiter liefen wir, an unserem Haus vorbei, eine neue Runde. Er glaube gern, dass Therese als Mutter fatal sei, sagte Cedric, aber er möge sie sehr, mutig sei sie, und … er zögerte, auch wahrhaftig und menschlich. Der Mond verzog sich zu einem Nickerchen hinter ein paar freundliche Wölkchen, aus denen es etwas weniger freundlich zu tröpfeln begann. Wir liefen durch den Regen, redeten, über Cedrics Mutter, die ihn mit ihrer Harmoniesucht in den Wahnsinn trieb, über meinen Vater, Cedrics Arbeit und sein Hobby, das Klettern, das er mit seiner Freundin teilte, über Timos Fische und die bereits abgetippte Ihajeflo-Geschichte, die er sehen wollte, am liebsten jetzt, sofort.
Und dann standen wir wieder vor dem Haus, in dem ich wohnte, atemlos und durchnässt. Das Fenster im Parterre war weit geöffnet, Fredl Weidinger blies Zigarillorauch in die Nacht. Unmöglich, unter seinen Augen Cedric mit nach oben zu nehmen. Ich ließ ihn unter dem schützenden Vordach stehen, hastete die Treppen hinauf, packte den Stapel Papier, der auf dem Wohnzimmertisch lag, stürmte wieder nach unten und drückte ihn Cedric in die Hand. Alles, was danach kam, Cedrics erfreuter Dank, unsere Verabredung zum Konzert von Devils Project im Biafuizl, wurde polizeilich überwacht, und wir verabschiedeten uns schnell. Worauf sich auch Fredl Weidinger zurückzog. Ich hörte Wasser rauschen, seine Klospülung, dann nur noch das stetige Rauschen des Regens. Ich konnte nicht schlafen, tigerte durch die Wohnung, vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer und zurück, sah pflichtbewusst nach den Fischen. Zopodil schien in ähnlicher Stimmung zu sein wie
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