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Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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dicht an mein Ohr. Einen Moment fragte ich mich, ob man auch auf dem Trommelfell eine Gänsehaut bekommen konnte.
    »Du … du hast sie schon gelesen?«
    »Noch in der Nacht.« Cedric bewegte seinen Mund keinen Millimeter von meinem Ohr weg, als wüsste er, dass er – oder der Mann, der ihm ähnlich sah – in meinem Traum gekonnt und aufreizend an meinem Ohrläppchen geknabbert hatte. Die Geschichte, sagte er, zeige eine große Begabung, und sofort überrieselte die Gänsehaut meinen ganzen Körper. Selbst die Haarzellen im Innenohr wuchsen seiner Stimme entgegen, begierig darauf, was er wohl als Nächstes sagen würde.
    Allerdings gäbe es das eine oder andere, was man besprechen müsse. Ob ich Kritik vertragen könne?
    Die Gänsehaut verschwand. Natürlich. Der Text war schlecht, er wollte nur nett sein.
    »… wunderbare Stellen, ganz, ganz nah an den Figuren, und dann wieder diese Distanz, zum Beispiel die Stelle, als …«
    In diesem Moment zählte der Sumo-Ringer laut bis vier, und mir wurde buchstäblich mit einem Schlag klar, warum die Plätze direkt vor den Boxen frei geblieben waren. Nicht nur die Lautsprecher flatterten, der gesamte Saal des Biafuizl erzitterte, Wände bebten, Holz ächzte lautlos, Atome in den Möbeln, im Bier und wahrscheinlich auch in uns ordneten sich zu neuen Molekülen. Als die Musik nach einer brausenden Ewigkeit überraschend aufhörte, eine beinahe schmerzhafte Stille hinterließ, fragte ich:
    »WELCHE STELLE?« Ich war noch auf die Bandlautstärke eingestellt und brüllte in den aufbrandenen und wieder abebbenden Applaus hinein. Cedric, anscheinend ebenfalls halbtaub, schrie zurück:
    »DIE STELLE, AN DER SHISANNA MIT DEM FREMDEN FISCHER KNUTSCHT, UM DEN HELDEN EIFERSÜCHTIG ZU MACHEN! WAS GENAU FÜHLT SIE?«
    »WIE MEINST DU DAS?«
    »IST SIE ABGESTOßEN, GLEICHZEITIG ERREGT, WILL SIE FLIEHEN, GENIEßT SIE DEN KUSS WIDER ERWARTEN, HAT SIE DESWEGEN EIN SCHLECHTES GEWISSEN? DU BESCHREIBST DEN RAUCH IN DEM RAUM UND ZIEMLICH GENAU DIE LAMPE AN DER DECKE, ABER NICHT …«
    »SIE KÜSST HALT MIT OFFENEN AUGEN!«
    Vor uns drehten sich Leute um, ich sah Ginas fragende Blicke, dann brüllte Cedric:
    »SO LEICHT DARFST DU ES DIR ABER NICHT MACHEN! DU SOLLTEST …« Den Rest seines Satzes beendete die wieder einsetzende Band mit dem Charme einer Schlammlawine. Ein ohrenbetäubendes Grunzen ließ die Lautsprecher in den Boxen flattern, als wollten sie aus ihrem vergitterten Gefängnis flüchten. Das Grunzen ging über in eine Art Rülpsen, ich verstand einzelne Worte: »Hell! Holy hell!« Und vor meinen Augen schwebte plötzlich ein Bierdeckel, mit Druckbuchstaben beschriftet:
    Um Shisannas Gefühle glaubhaft zu beschreiben, solltest du bei deinen eigenen Gefühlen anfangen.
    »Holy hell, holy bells«, röhrte es ultratief, es kam von dem Sumo-Ringer, der jetzt ein Mikrophon vor dem Mund hatte, so dicht, als hätte er vor, es zu verspeisen.
    Welche Gefühle meinst du? Ich küsse nicht jeden Tag Fremde, um den Geliebten eifersüchtig zu machen.
    Meine Kugelschreiberhand zitterte auf dem Bierdeckel, bevor ich noch nachdenken konnte, wütend. Ich schob die Botschaft zu Cedric hinüber. Er las sie lächelnd. Dann sah er mich an. Mit dieser bebrillten, hellwachen Aufmerksamkeit, die ich schon an ihm kannte, ein Gletschersee-am-Morgen-Blick, sozusagen ein Blick, der früh aufgestanden war. Er fuhr sich durch die ohnehin zerrauften Haare und beugte sich wieder über den Bierdeckel.
    Ich meine es zwar anders, aber du bringst mich auf eine Idee.
    Welche?
    Mein Herz wusste es schon, es hatte beschlossen, eine Runde joggen zu gehen, gegen jeden sportärztlichen Rat gleich im Höchsttempo. Cedric schrieb, schnell, schob den Bierdeckel zu mir herüber.
    Ein Autor muss manchmal für die Recherche ungewöhnliche Dinge tun, las ich.
    »The evil is near!«, röhrte der Sumo-Ringer, und mein Herz hob von seiner Jogging-Piste ab und flatterte wie der gefangene Lautsprecher im Boxenkäfig hinter mir. Ich rutschte vom Hocker, schlingerte auf meinen hochhackigen Sandalen durch die Menge, ohne zu wissen, wovor ich flüchtete, eierte zum Nebenausgang hinaus und landete auf der Wiese hinter dem Biafuizl. Wo ich prompt die Strafe der Götter empfing, für etwas, das ich noch gar nicht getan hatte. Wäre Sisyphus eine Frau gewesen, hätten die Götter sie vermutlich keinen Stein bergwärts rollen lassen, sondern auf Pfennigabsätzen über eine nasse Wiese geschickt. Nach drei Schritten steckte ich zentimetertief

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