Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paarungszeit: Roman (German Edition)

Paarungszeit: Roman (German Edition)

Titel: Paarungszeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
Vom Netzwerk:
und mit den Armen rudernd in der Grasnarbe, und sobald ich versuchte, den rechten Absatz herauszuziehen, sank ich links einen gefühlten Meter weiter ins Erdreich. Verschwommen dachte ich, dass man dafür das Wort Sisypussi-Arbeit hätte erfinden müssen, und dann war Cedric neben mir. Hatte ich ihn richtig verstanden, wollte er wirklich rechercheknutschen? Was war mit seiner Freundin, und wie sollte ich Timo einen solchen Kuss erklären? Dann dachte ich an Goldflossy, Schlieren von Ärger durchzogen meine Verwirrung, und schon legte Cedric die Arme um Sisypussy, enthob sie aller irdischen Stöckelschuhqualen, trug sie ein paar Schritte und setzte sie ab auf Kies.
    »Versuchen wir einfach, uns das Gefühl zu merken«, murmelte er, nur leicht außer Atem. Wir standen auf dem Parkplatz, zu dunkel war’s, um sein Gesicht zu erkennen, aber ich ahnte, nein, ich wusste sein Lächeln. Einen Fremden küsste ich, aber nichts Fremdes war an ihm, sein feiner Duft nach Orangen war ebenso vertraut wie seine Hand in meinem Haar, und unsere Zungen benahmen sich, als hätten sie schon einige Paartanzkurse besucht, ließen beschwingten Walzer und Quickstep hinter sich, gingen über zu Tango, zu wilderen Tänzen. Hinter uns spielte sich die Band ins Koma, jaulende Gitarren, Höllengegrunze, Beckengeklirr, als ob eine Horde Drachen eine Party in einem Musikgeschäft feierte, Sisypussys rechter Absatz hatte es vorgezogen, im Erdreich stecken zu bleiben, und von oben begann es sanft zu tröpfeln, aber nichts davon war wichtig, wir hatten uns in diesem Kuss eingerichtet wie im Inneren einer weichen, duftenden Frucht. Fingerspitzen, meinen Rücken entlangwandernd, verharrend auf dem Kragen meiner Bluse, suchend, hungrig nach Haut. Dass ich glücklicherweise heute nicht den Snoopy-BH trug, dieser Gedanke blitzte kurz in meinem Hirn auf und erlosch.
    Dann blitzte etwas anderes auf. Das Licht einer Taschenlampe. Genauer: von einem iPhone mit Taschenlampen-App, dessen Lichtkegel uns erfasste, den verbeulten Citröen, an dem wir lehnten, und die Stoßstange des Porsche.
    »Das wird teuer«, sagte Alexander Strobl.

21.
    D as ist nur gut für uns.« Wie konnte Christiane Breitner nur so ruhig bleiben! Es war früher Morgen, Tag zwei nach dem Desaster in der Feuerwehrkneipe. Tag eins war erstaunlich ruhig verlaufen. Die berühmte Ruhe vor dem Sturm, wie es sich jetzt erwies.
    Anderls Ausruf »Himmioarschundzwirnkreizkruzifixvarreg!« hatte Therese geweckt, gleichzeitig mit Rod Stewards Gekrähe. Sie hatte unruhig geschlafen, vom Wald her das Gedröhne des Hardrock-Konzerts im Biafuizl, und jetzt, im Morgengrauen, bot die Neuenthaler Einkaufsmeile einen wahrhaft grauenvollen Anblick. Nächtliche raubtierhafte Wut, Eruptionen roher Gewalt, nichts anderes konnte die Ursache sein für das, was sich Therese Englers Blicken offenbarte: überall Papierfetzen, zerschreddert, zerknüllt, zertrampelt. Vandalen hatten alle Plakate der Kandidatin Therese Engler heruntergefetzt.
    Wieso hatte sie nichts gehört? Sofort rief sie ihre Wahlberaterin an, die in einem Tauchschul-Bademantel herbeieilte, hinter ihr Hartl, ebenfalls im hellblauen Frotteemantel mit Tauchschul-Emblem. Wenig später säumten bereits Schaulustige den Straßenrand und sahen zu, wie Christiane Breitner all ihre Autorität aufbot, um ihrer Kandidatin das Eingreifen per Besen zu untersagen. Es war schließlich Hartl, der half, den Müll wegzufegen.
    Einen schockstarren halben Tag lang blieb Neuenthals Einkaufsmeile frei von Plakaten der Kandidatin Engler.
    Am späten Vormittag betrat Delphine Thereses Laden, heftig atmend, mit bebendem Busen, begleitet von Cedric. Der sich erst um eine unverfängliche Begrüßung bemühte, Dirndl und Krachlederne mit Schweizer Trachten verglich, bis Delphine herausplatzte: »Eine Unvörschämt’eit! Wir müssön etwas tun!« Dem folgte ein Wortschwall auf Französisch mit mehreren auffordernden »Cedi!«s, und schließlich fing Cedric an zu sprechen, zögernd zunächst: Er habe in der letzten Nacht nicht schlafen können und nach dem Konzert noch lange gelesen.
    Was er wohl las? Auch Delphines Romane? Was lasen Männer eigentlich? Auf Luciens Nachttisch hatte sie ein Buch mit einem unauffällig blauen Einband gefunden, mit einem Titel, den sie nicht verstand. Sie hatte darin geblättert, nur Buchstaben, was hatte sie erwartet? Skandalöse Bilder? Und wieso schweiften ihre Gedanken dauernd ab? Delphines energisches »Cedi, sag Theresö, was du ’ast

Weitere Kostenlose Bücher