Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
Sekunden, hört aber niemanden in der Wohnung. Es sei denn, denkt er, wer auch immer da drin ist, hat mich die Treppe hochkommen hören, verhält sich ganz still und wartet hinter der Tür, um mich umzunieten, sobald ich reinkomme.
Boone öffnet die Tür ein kleines Stück und schließt sie schnell wieder. Er hört nichts, also tritt er die Tür sperrangelweit auf und platzt mit Wucht hinein, Hände erhoben und zu allem bereit.
Nichts.
Wer auch immer hier war, ist längst wieder weg. Was echt schlechte Neuigkeiten sind, denn wer auch immer es war, hat vielleicht auch Tammy mitgenommen.
Boone kommt ein erschreckender Gedanke.
Killer töten meist auf dieselbe Art. Die bringen nichts durcheinander. Ein Kerl, der die falsche Frau vom Balkon geworfen hat, würde sich wahrscheinlich rehabilitieren wollen, indem er die richtige Frau vom Balkon wirft.
Boone sieht die Schiebetür in dem kleinen Wohnzimmer. Die Schiebetür ist geöffnet; eine leichte Brise weht den Vorhang ins Zimmer.
Er durchquert den Raum, tritt hinaus auf den Balkon und sieht herunter.
Nichts außer einem kleinen Garten. Keine Frauenleiche, ausgestreckt und verzerrt.
Boone holt tief Luft und geht wieder hinein. Es handelt sich um ein typisches Einzimmerapartment – ein Wohnzimmer mit einer kleinen, durch einen Frühstückstresen abgetrennten Kochnische. Möbel von Ikea. Wie sich Boone während seiner Zeit als Polizist wahrscheinlich notiert hätte, sind keinerlei Anzeichen eines Kampfs erkennbar. Alles ist ordentlich – Zeitschriften liegen fein säuberlich angeordnet auf dem Couchtisch, keine Schleifspuren auf dem blauen Teppich.
Sollte sie jemand verschleppt haben, dann ist sie kampflos mitgegangen. Was sich natürlich auch mit einer Knarre erzwingen lässt.
Wer der Einbrecher auch war, er hatte die Wohnung nicht verwüstet. Schlechte Nachricht. Warum? Er hatte nicht nach Hinweisen gesucht, die auf Tammys Aufenthaltsort schließen ließen – vielleicht, weil sie sich längst in seiner Gewalt befand.
Boone tritt in die Küchenecke. Eine fast volle Kaffeekanne steht in der weißen Krups-Automatik-Kaffeemaschine. Das kleine rote Licht zeigt an, dass sie noch eingeschaltet ist. Eine halb volle Tasse steht auf dem Tresen. Hübscher kleiner Becher mit lächelnden Nilpferden und roten Luftballons. Kaffee mit Milch. Eine halbe Scheibe Weizentoast auf einem kleinen orangefarbenen Teller, keine Butter.
Und ein Fläschchen Nagellack.
Der Deckel ist drauf, aber nicht festgeschraubt.
Sie verschwand in Eile, ob freiwillig oder nicht.
Er geht ins Schlafzimmer.
Das Bett ist nicht gemacht.
Und es riecht nach einer Frau.
Wie nennt mich Johnny B., wenn er mich am Sack packen will? »Lakenschnüffler«? Das ist wahr. Das Bett riecht, als hätte vor kurzem noch eine Frau darin geschlafen. Eine Frau, alleine. Es ist ein Doppelbett, aber die Decke ist nur auf der linken Seite zurückgeschlagen.
Das Zimmer wirkt sehr feminin. Rüschen, Mädchenkram, Pink. Ein Teddybär mit roter Schleife um den Hals sitzt rechts auf dem Bett gegen das Kopfteil gelehnt. Stripperinnen und ihre Stofftiere, denkt Boone.
Er begutachtet die gerahmten Fotos oben auf der Kommode. Angela und eine, die wie ihre Mutter aussieht. Angela und eine Schwester. Angela und Tammy. Seltsam und traurig, sich diese Bilder einer lächelnden Frau im Kreise ihrer Familie und Freunde anzusehen und dabei an die Leiche am Pool zu denken, deren Kopf von einem blutigen Kranz umgeben war.
Boone betrachtet das Bild von Tammy genauer – lange rote Haare, ein markantes, fein geschnittenes Gesicht mit einer langen Nase, die ihr sehr gut steht, schmale Lippen.
Aber es sind ihre Augen, die einen wirklich berühren.
Grüne Augen, die aus dem Foto funkeln.
Augen wie von einer großen, gefährlichen Katze, die einen aus der Dunkelheit heraus anstarrt. In ihren Augen liegt große Stärke, viel Kraft. Das überrascht ihn. Ihr Myspace-Foto, das er sich von Hang hatte aufrufen lassen, zeigte eine typische Stripperin. Auf diesem Bild sieht man etwas anderes, aber Boone ist nicht so ganz sicher, was.
Sie lächelt auf diesem Bild und legt Angela die Arme um die Schultern. Das Bild sieht aus, als wäre es bei einer Art Ausflug entstanden – vielleicht einer Radtour. Angela trägt eine weiße Kappe auf dem Kopf, ihr roter Pferdeschwanz guckt hinten raus. Sie lacht, glücklich – Boone kann verstehen, weshalb sie dieses Bild gerahmt hat. Eine schöne Erinnerung an schöne Zeiten. Er könnte wetten, dass dasselbe
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