Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
Bild bei Tammy zu Hause hängt.
Er öffnet den Schrank und geht die Klamotten durch. Alle in Angelas Größe, keine in Tammys, die einige Zentimeter größer und auch ein bisschen dünner ist. Wenn Tammy hier war, musste sie eine Reisetasche dabei gehabt haben, die sie unausgepackt wieder mitgenommen hat. Was wiederum ein gutes Zeichen ist, denn normalerweise erlauben Kidnapper ihren Opfern nicht, Gepäck mitzunehmen. Es sei denn, sie haben ihr erzählt, sie würde in Urlaub fahren, bis Gras über die Sache gewachsen sei – ihr erlaubt, die Tasche mitzunehmen, um sie in Sicherheit zu wiegen.
Boone geht ins Bad.
Er zieht den Duschvorhang zurück. Er ist noch von innen nass, ebenso wie die Wände der Dusche. Die Zahnbürste am Waschbecken ist noch feucht. Ebenso der Verschluss der Reinigungsmilch.
Sie hat alleine geschlafen, denkt Boone, ist spät aufgestanden, hat geduscht, aufgeräumt, Toast und Kaffee gemacht und sich auf den Hocker an den Küchentresen gesetzt, um sich beim Essen die Nägel zu lackieren.
Aber sie wurde nicht fertig.
Weder mit ihren Nägeln, noch mit dem Frühstück.
Er öffnet das Arzneischränkchen. Der übliche Mädchenkram. Nur ein verschreibungspflichtiges Fläschchen Biaxin auf Angelas Namen – ein Antibiotikum, das sie nicht ganz verbraucht hat. Ein bisschen Tylenol, Aspirin, Make-up … keine Anti-Baby-Pillen, die man eigentlich erwartet hätte.
Er verlässt das Schlafzimmer, nimmt den Nagellack mit und steckt ihn sich in die Tasche. Außerdem zieht er die Schiebetür zu.
32
»Und?«, fragt Petra, als er zum Bus zurückkehrt.
»Sie sind doch auch so was wie eine Frau«, sagt Boone. »Erinnern Sie sich, welches Parfüm Tammy benutzte?«
»CK«, erwidert Petra und ignoriert die Beleidigung. »Wieso?«
Er zieht das Fläschchen Nagellack heraus und zeigt es ihr.
»Den hatte sie auch bei unserem Treffen drauf.«
»Sie war eben noch da«, sagt Boone und schlägt mit der Hand aufs Lenkrad. » Gerade eben war sie noch da.«
Petra ist überrascht, aber auch angetan davon, dass er sich ein bisschen frustriert zeigt. Mein Gott, denkt sie, sollte dies darauf hinweisen, dass der Mann so etwas wie Tatendrang besitzt? Amüsant auch, fast schon ein wenig faszinierend, dass er sich mit Damenparfüms auskennt.
»Vielleicht haben die sie«, sagt Boone. Er erzählt, was er in Angelas Apartment gesehen hat.
»Was machen wir?«, fragt sie.
»Wir fahren ein paar Runden durch die Gegend«, sagt er, »für den Fall, dass sie noch hier ist und nicht weiß, was sie tun oder wohin sie gehen soll. Wenn wir sie nicht sehen, fahren Sie mit dem Taxi zurück in Ihr Büro und ich führe ein paar Befragungen im Viertel durch.«
Er hätte auch sagen können, »und ich häng hier noch ein bisschen rum und quatsch mit ein paar Leuten«, aber er dachte, ihr würden »Befragungen« besser gefallen. Außerdem sollte sie der Satz von der Formulierung »zurück in Ihr Büro« ablenken.
Was es aber nicht tut.
»Weshalb ist meine Abwesenheit notwendig?«, fragt sie.
»Weil niemand mit Ihnen reden wird«, sagt Boone. »Und mit mir auch nicht, wenn Sie dabei sind.«
»Bin ich so was wie eine sozial Aussätzige?«
»Ja.«
So was wie eine Frau , denkt sie. Sozial aussätzig. Dann sagt sie: »Männer werden mit mir reden.«
Zufrieden, weil ihm darauf offenbar nichts einfällt, setzt sie hinzu: »Hang Twelve hat mit mir geredet und Cheerful hat mit mir geredet. Beide haben Sie in null Komma nichts an mich verraten.«
Das haben sie, denkt Boone. In weniger als null Komma nichts.
»Na schön«, sagt er. »Sie sind gebucht.«
Reizend, denkt sie. Ich bin gebucht.
33
Petra ist gebucht, aber davon taucht Tammy Roddick auch nicht wieder auf. Falls sie in den Straßen von Ocean Beach herumspaziert, hat sie sich als Penner, alten Hippie, mittelalten Hippie, jungen Retrohippie, weißen Rasta mit blonden Dreadlocks, ausgezehrten Veganer, Rentner oder als einen von ungefähr einem Dutzend Surfern verkleidet, die darauf warten, dass die große Wellenfront Rockslide erreicht.
Petra redet mit allen.
Nachdem sie klargestellt hat, dass sie weiß, wie man mit Männern spricht, fühlt sie sich verpflichtet, genau das zu tun, und bekommt eine Menge hilfreiche Informationen.
Der Penner erzählt ihr (für zwei Dollar), dass sie ein bezauberndes Lächeln hat, der alte Hippie teilt ihr mit, dass die Natur die Erde mit Regen benetzt; der mittelalte Hippie hat zwar Tammy nicht gesehen, weiß aber, wo man ganz wunderbaren grünen
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