Paganinis Fluch - Kepler, L: Paganinis Fluch - Paganinikontraktet
mir im Krankenhaus davon erzählt«, berichtet Beverly. »Es ging um etwas, was ihm passiert ist, aber …«
Robert hält an einem Zebrastreifen. Ein Kind verliert seinen Schnuller auf der Straße, die Mutter bemerkt es nicht und geht weiter. Das Kind reißt sich plötzlich los und rennt zurück. Die Mutter schreit entsetzt auf, entdeckt dann aber, dass Robert das Kind gesehen und vorhergesehen hat, was passieren würde. Sie trägt das strampelnde Kind wieder über die Straße.
»Ein Mädchen ist gestorben«, sagt Beverly.
»Wer?«
»Er will nie darüber reden, nur damals, im Krankenhaus …«
Sie verstummt, flicht ihre Finger ineinander und trommelt auf ihren Beinen.
»Erzähl mir, was er gesagt hat«, fordert Robert sie auf.
»Sie waren nachts zusammen, und danach hat sie sich das Leben genommen«, sagt Beverly und schielt zu Robert hinüber. »Ich sehe ihr ähnlich, stimmt’s?«
»Ja«, antwortet Robert.
»Im Krankenhaus hat er gesagt, dass er sie umgebracht hat«, flüstert Beverly.
Robert zuckt zusammen und dreht sich erneut zu ihr um.
»Wie meinst du das?«, fragt er.
»Er hat erzählt, dass er etwas getan hat, und dann ist sie gestorben.«
Robert sieht sie mit offenem Mund an.
»Er sagt … er sagt, dass es seine Schuld war?«
»Es war seine Schuld«, fährt Beverly mit dem Kopf nickend fort. »Sie hätten nämlich Geige üben sollen, aber stattdessen haben sie miteinander geschlafen und sie hat geglaubt, dass er sie hereingelegt hat, um den Geigenwettbewerb zu gewinnen.«
»Es war nicht seine Schuld.«
»Doch«, widerspricht sie.
Robert sinkt am Steuer zusammen. Er reibt sich mehrmals mit den Händen übers Gesicht.
»Großer Gott«, flüstert Robert. »Ich muss …«
Der Wagen schert kurz aus, hinter ihm hupt jemand wütend, und Beverly wirft ihm einen besorgten Blick zu.
»Was ist los?«, fragt sie.
»Ich … ich muss ihm etwas erzählen«, fährt Robert fort und beginnt, den Wagen zu wenden. »Ich bin doch hinter der Bühne geblieben, als er spielen sollte, ich weiß, was passiert ist, Greta war vor ihm dran, sie kam zuerst zurück und …«
»Du warst dabei?«
»Warte«, unterbricht Robert sie. »Ich habe alles gehört, ich … Gretas Tod hat nichts mit Axel zu tun …«
Er ist so aufgewühlt, dass er den Wagen erneut anhalten muss, sein Gesicht ist aschfahl, als er sich Beverly zuwendet.
»Entschuldige«, flüstert er. »Aber ich muss einfach …«
»Bist du sicher?«
»Was?«, fragt er und sieht sie an.
»Bist du wirklich sicher, dass es nicht Axels Schuld war?«
»Ja«, antwortet er.
»Aber was ist dann passiert?«
Robert streicht sich Tränen aus den Augen und öffnet in Gedanken versunken die Autotür.
»Gib mir eine Sekunde, ich muss … ich muss mit ihm reden«, sagt er leise, steigt aus und stellt sich auf den Bürgersteig.
Die großen Linden am Sveavägen verbreiten staubend ihre Samen, die in der Sonne über Autos und Menschen tanzen. Auf einmal lächelt Robert in sich hinein, nimmt sein Handy und wählt Axels Nummer. Nach drei Ruftönen verschwindet sein Lächeln, und er kehrt mit dem Telefon am Ohr zum Wagen zurück. Erst als er den Anruf abbricht, um es mit Axels Handynummer zu versuchen, entdeckt er, dass das Auto leer ist, Beverly ist verschwunden. Er schaut sich um, kann sie aber nirgendwo sehen. Der Verkehr rauscht vorbei, Abiturienten fahren in offenen Wagen am Sergels torg vorbei, um ihren Schulabschluss zu feiern. Er schließt die Tür, lässt das Auto an und fährt langsam los, um nach Beverly zu suchen.
94
Raschelndes weißes Plastik
Axel Riessen weiß nicht, wie lange er am Fenster gestanden und Robert und Beverly hinterhergeschaut hat. Seine Gedanken haben sich unablässig in der Vergangenheit bewegt. Er zwingt sich, von seinen Erinnerungen abzulassen, geht stattdessen zur Musikanlage und legt die erste Seite von David Bowies Schallplatte »The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars« auf und dreht lauter.
»Pushing thru the market square …«
Dann geht Axel zur Hausbar und holt eine der teuersten Flaschen aus seiner Whiskysammlung heraus. Es ist ein Macallan aus dem ersten Kriegsjahr 1939. Er schenkt sich ein kleines Glas ein und setzt sich auf die Couch. Mit gesenktem Blick lauscht er der Musik, der jungen Stimme und dem schlampigen Klavier, und dann steigt ihm der Duft von Eichenfass, schweren Behältern und dunklem Keller, Stroh und Zitrone in die Nase. Er trinkt, und der hochprozentige Schnaps brennt auf den Lippen
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