Pain - Bitter sollst du buessen
erbärmlich vor. Behutsam löste er sich aus ihren Armen. Sie seufzte im Schlaf und drehte sich auf die andere Seite, ohne die Augen zu öffnen. Das Bett war zerwühlt, die Kissen zerdrückt, im Zimmer roch es schwach nach ihrem Parfüm. Er hatte nicht die Absicht gehabt, mit ihr zu schlafen, hatte sich dann aber nicht zurückhalten können. Genau das war das Problem – er, der immer vorsichtig war, wenn es um Frauen ging, ein Mann, der seine eigenen Interessen und sein Herz verteidigte, verlor in ihrer Gegenwart den Verstand. Verlor einfach den Verstand! Er studierte ihre Gesichtszüge, den Schwung ihrer Wimpern, die Art, wie sie mit leicht geöffneten Lippen flach atmete.
Er riss sich los von ihrem Anblick und rief sich in Erinnerung, dass er noch so einiges zu erledigen hatte, Dinge, von denen sie besser nichts erfuhr. Sein Gewissen plagte ihn erneut. Er zog lediglich Shorts an und verzichtete auf ein Hemd.
Das digitale Zifferblatt der Uhr zeigte in rot glühenden Zahlen an, dass es halb fünf Uhr morgens war. Falls sie aufwachte, würde er behaupten, dass er mit Sasquatch hinausgehen müsse. Doch sie schlief selig weiter. Leise, gefolgt von seinem Hund, eilte er die Treppe hinunter.
Geräuschlos öffnete er die Tür zur Straße. Im bläulichen Schein der Laterne war kein Mensch zu sehen. Es war still zu dieser Stunde, alle Welt schlief. Die Morgenzeitung lag noch nicht auf seiner Zufahrt, und in den Fenstern der Häuser längs der Straße schimmerte kein Licht. Kein Gesundheitsfanatiker absolvierte seine morgendliche Joggingrunde, kein Auto fuhr die schmale Straße entlang. In diesem Teil von Cambrai herrschte noch tiefe Nacht.
Sasquatch schnupperte im Vorgarten herum, und Ty ging bis zum Ende der Zufahrt und blieb in der Nähe seines Briefkastens unter einem Magnolienbaum stehen. Dichtes Laub verdeckte hier das Licht der Straßenlaterne und schuf um den Baumstamm herum eine noch tiefere Dunkelheit. Ty wartete, spähte angestrengt in die Finsternis, die Ohren gespitzt, sodass ihm auch nicht das leiseste Geräusch entgehen konnte.
Er hörte nichts, doch ein paar Sekunden später tauchte aus dem dichten Gebüsch eine Gestalt auf. Schwarz gekleidet, mit vorgebeugten Schultern, das Gesicht in der Dunkelheit nicht zu erkennen, schien Andre Navarrone mit den Schatten zu verschmelzen. »Zumutung, um diese Zeit auf den Beinen sein zu müssen«, flüsterte er.
»Ließ sich nicht vermeiden.« Ty warf einen Blick zurück auf sein Haus und schaute dann den Mann an, den er mehr als sein halbes Leben lang kannte, der wie er ein ehemaliger Polizist war und sich nun als Privatdetektiv betätigte. Navarrones Zeit bei der Polizei von Houston war kurz und schmerzhaft gewesen. Er hatte nie ganz begriffen, dass die Strategien, die er als Special Agent im Golfkrieg gelernt hatte, in der Stadt nicht umzusetzen waren. Also hatte er sich selbstständig gemacht. Und das war ideal für ihn.
Ty sah seinem Freund in die Augen. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Das habe ich mir gedacht. Sonst hättest du mich wohl kaum gerufen.« Navarrone ließ ein freches Lächeln aufblitzen. Er fragte nicht, was Ty wollte, das hatte er noch nie getan.
Und er hatte noch nie versagt.
Bis jetzt.
Sam wälzte sich auf die andere Seite und spürte, dass irgendetwas anders war. Falsch. Sie lag nicht in ihrem eigenen Bett … Jetzt erinnerte sie sich. Ein zufriedener Seufzer kam über ihre Lippen, und sie lächelte. Sie war bei Ty – wenngleich ihr Verstand ihr davon abgeraten hatte. Erinnerungen an die Liebesnacht blitzten auf. Das Gefühl seiner warmen Haut, sein Geschmack, seine wunderbare Art, sie zu berühren … Sie griff hinter sich und spürte das kühle Laken unter ihren Fingern, nur das Laken. Keine Haut, keine Muskeln oder Knochen.
Sie drehte sich um und stützte sich blinzelnd auf einem Ellbogen auf. Ja, sie war allein. Dort, wo sein Körper noch vor gar nicht langer Zeit gelegen hatte, zeigte sich ein Abdruck im Laken, doch er war kalt. Vielleicht war er aufgestanden, um ins Bad zu gehen oder um etwas zu trinken oder … Der Hund. Klar, das war’s. Er war mit dem Hund draußen.
In der Dunkelheit suchte sie ihren Slip und zog ihn an. Durch das offene Fenster hörte sie seine gedämpfte Stimme, sein Flüstern, und sie nahm an, dass Ty Sasquatch ermahnte, sich mit seinem Geschäft zu beeilen. Doch als sie aus dem Fenster sah, entdeckte sie keine Spur von einem Mann oder einem Hund auf dem Rasen zwischen dem Haus und dem See. Neugierig
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