Pakt der Könige
…
Als Arekh vom Pferd sprang, plünderten die Meriniden gerade die Küche, die nur einige Schritte von seinen Gemächern entfernt war. Arekh raste wie ein Wahnsinniger ins Innere des Palasts. Er fand Marikani und die Kleine
im Innenhof; sie lauschten besorgt dem Lärm ganz in der Nähe. Wortlos luden sie die Wasserschläuche auf das Pferd und verließen dann den Palast, so schnell sie nur konnten, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
Sie hatten nur einige Minuten gewonnen. Die zweite Kette der Meriniden näherte sich ihnen. Noch weit entfernt, aber schon sichtbar zog sie die Hauptstraße herauf; die Soldaten wirkten im Fackelschein wie zuckende Schatten. Wir haben es beim Sklavenaufstand genauso gemacht , begriff Arekh. Welch eine Ironie!
Aber es war unmöglich, hier an der Reuse vorbeizugelangen …
»Können wir uns mit Gewalt durchschlagen?«, fragte Marikani mit gesenkter Stimme, während Männer und Frauen, die schreiende Kinder auf dem Arm trugen, auf der Flucht vor dem Feind die Straße in der anderen Richtung entlangrannten, unwissentlich geradewegs auf die zweite Kette zu, die jetzt entlang des Palastes vorrückte. »Wenn wir das Pferd zum Galopp antreiben, vielleicht?«
Arekh schüttelte den Kopf. »Hinter den Fußsoldaten kommen Reiter. Wir würden sofort getötet werden.«
Marikani wandte sich ihm plötzlich zu; ihre Augen glitzerten in der Dunkelheit. »Falls wir in ein paar Minuten sterben, möchte ich Euch etwas sagen … Danke.«
»Dafür, dass ich Euch den Meriniden ans Messer geliefert habe?«, erwiderte Arekh, ohne sie anzusehen.
»Ja. Im Vergleich zu dem, was mich erwartete … Jetzt habe ich getrunken, mir Wasser ins Gesicht gespritzt, bin der Folter entkommen …«
»Freut Euch nicht zu früh«, sagte Arekh trocken. »Wenn die Meriniden Euch erkennen, nehmen sie Euch vielleicht gefangen, um Euch an Reynes zu verkaufen.«
Marikani zuckte die Achseln. »Sie werden mich schon nicht erkennen. Seht sie Euch doch an«, sagte sie und deutete auf die Flammen, die jetzt das gesamte Südviertel der Stadt erfasst hatten. »Sie achten nicht auf Einzelheiten.«
Sie hatte recht. Sie führten das Pferd zunächst die Straße hinunter auf die menschliche Klinge zu, um sich dann hinter einem kleinen Tempel zu verbergen und sie weiter zu beobachten. Die Soldaten rückten langsam vor, nicht nur auf der Straße, sondern auch durch Villen und Gärten; sie scheuchten die Bewohner, die noch nicht geflohen waren, aus ihren Häusern. Diejenigen, die es bis auf die Straße schafften, wurden von den Fußsoldaten niedergemacht; die, die auch den Schwerthieben entkamen, wurden von Pfeilen und Armbrustbolzen niedergestreckt. Sie waren nur kleine Umrisse, die sich kurz im Fackellicht abzeichneten, bevor sie einige Augenblicke später auf dem Boden zusammenbrachen.
Die kleine Sklavin begann ein Gebet an Fîr zu rezitieren; Arekh hatte nicht das Herz, sie daran zu hindern.
»Wenn Harabec so fiele …«, murmelte Marikani.
Arekhs Wut kehrte unerklärlicherweise zurück. »Vergesst Harabec!«, zischte er so heftig, dass seine beiden Begleiterinnen zusammenzuckten und sich umsahen, um festzustellen, ob auch niemand ihn gehört hatte. »Vergesst den Hof, Eure Strategien, Eure verdammten Ratssitzungen …« Er hielt sich gerade noch davon ab, ihr eine Ohrfeige zu versetzen - hier, am Rande des Abgrunds, hätte ihm diese Geste sinnloser Gewalt gutgetan. Er beschränkte sich darauf, sie am Ellbogen zu packen, ihr grausam den Arm zu verdrehen und die Ketten, die sie immer noch an den Handgelenken trug, zum Rasseln zu bringen. »Ihr seid eine Sklavin, Ayashinata Marikani, versteht Ihr? Eine
Sklavin! - Meine Sklavin«, fügte er hinzu und schüttelte sie heftig, bevor er sie losließ. »Ihr gehört mir! Verstanden?«
»Nun, im Zweifelsfall werde ich Euch nicht lange gehören«, sagte Marikani und wies mit dem Kinn auf die Meriniden.
Sie hatte recht, und Arekh hatte plötzlich keine Lust mehr, noch länger zu warten. Wenn der Tod schon unausweichlich war, konnte man ihm auch entgegengehen, den letzten Trumpf ausspielen und auf das Unmögliche hoffen. Er stieß Marikani vor sich her; die Kleine, die das Pferd am Zügel führte, folgte ihm in einen Garten zur Linken, dorthin, wo die Linien der Meriniden etwas weiter auseinandergezogen wirkten. Dann tasteten sie sich von Hecke zu Hecke hinter den Villen vor, den Soldaten entgegen.
Arekh hatte keinen Plan. Er dachte nur, dass sie noch am ehesten dort einen Chance haben würden,
Weitere Kostenlose Bücher