Pakt der Könige
philosophischen Texte, die Arekhs Hauslehrer ihn zu lesen gezwungen hatten, als er klein gewesen war.
Alles ist mit allem verbunden .
War es möglich, dass ihre Handlungen hier, auf der Hochebene von Nôm, einen Widerhall anderswo finden würden, an allen Orten, an denen das Ritual stattfinden sollte? Wenn alles miteinander verbunden war - und die Priester behaupteten ja schließlich auch, dass jedes Opfer auf die anderen Einfluss hatte, dass jede religiöse Handlung jedes Menschen über das Individuum hinauswuchs, um ein Ganzes zu bilden -, dann war es doch vielleicht möglich, dass es auch andersherum funktionierte und etwas, was man gegen ein Ritual unternahm, auch Auswirkungen auf die anderen hatte.
Jetzt bin ich wirklich verrückt geworden , dachte Arekh lächelnd; der Gedanke widerstrebte ihm nicht. In einem Moment wie diesem war es das Beste, verrückt zu sein. Vernunftbegabte Wesen unternahmen nichts.
Marikani kam wieder zu ihm herüber; in ihren dunklen Augen funkelte Entschlossenheit. »Sie müssen nur eine Revolte anzetteln«, flüsterte sie. »Sie sind zu Hunderten, und es gibt hier nur ein paar Wachen …«
»Wohin sollen sie danach gehen?«, fragte Arekh.
Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Es herrscht Krieg. In der Gegend regiert das Chaos. Sie können Nôm plündern, Proviant und Wasser mitnehmen und nach Nordwesten ziehen.«
Nach Nordwesten? Dorthin, wo die Kreaturen herkamen? Warum eigentlich nicht? Die Soldaten würden dort nicht nach ihnen suchen. Natürlich würden sie sich in Gefahr begeben, aber ein unsicheres Leben war immer noch besser, als sich mit durchschnittener Kehle auf einem Altar wiederzufinden.
Und so versuchte Marikani in den vier folgenden Tagen, einen Aufstand zu organisieren. Ohne Erfolg. Es war nicht so, dass keine Verständigung möglich gewesen wäre: Wieder einmal war es allen völlig gleichgültig. Marikani und Arekh mussten den Wachen nur eine Münze in die Hand drücken, um den Pferch betreten und sich mit jedem, den sie sprechen wollten, unterhalten zu können. Die Kinder des Türkisvolks konnten rings um die Höhle ohne echte Überwachung kommen und gehen, wie es ihnen gefiel; mitleidige Sklavenhalter nutzten das aus, um ihren todgeweihten Sklaven etwas Wasser und Essen bringen zu lassen … Denn warum sollte man Leute offiziell noch verpflegen, die ohnehin hingerichtet werden würden? Aber die Situation war nicht allzu fürchterlich, erneut dank der Kinder und der Gleichgültigkeit der Wachen: Die Kleinen holten Wasser aus dem Fluss, brachten ihren Eltern gestohlenes Mehl und Brot oder bettelten.
Marikani fand bald heraus, mit wem sie sprechen musste: Wie in jeder Gemeinschaft gab es unter den Sklaven Anführer. Ein junger Mann namens Res - blond und heißblütig -, der bei einer Händlerfamilie gelebt und eine gewisse Bildung erhalten hatte, begeisterte sich sofort für Marikanis Plan und versuchte, die anderen zu überzeugen. Res hätte nachts leicht fliehen können, aber anscheinend war er von seinen Herren als Deckhengst missbraucht und an mehrere Familien in Nôm ausgeliehen
worden, um ihre jungen Sklavinnen zu schwängern. Er fühlte sich ihnen und vielen Kindern im Pferch nun verbunden und wollte sie nicht im Stich lassen. Es gab auch eine kräftige Frau, die in den vier Tagen vor Arekhs Augen zusammenschrumpfte; sie hatte den Befehl über die anderen Sklaven eines Bauernhofs geführt, und anscheinend hörte man noch immer auf ihre Ratschläge. Und dann war da noch ein alter Mann, der keine besonders hervorstechende Eigenschaft bis auf die hatte, dass er eben alt war; aber so lange überlebt zu haben, war für das Türkisvolk an sich schon vorbildhaft, und was er sagte, wurde wie das Wort der Götter angehört.
Das Wort der Götter. Das war der Gegner, der Feind, und Arekh war sich fast böse dafür, seinerzeit in der Ratssitzung in Salmyra schon das Richtige vermutet zu haben. Mit Ausnahme einiger Widerspenstiger brachten die Sklaven den Göttern höchsten Respekt entgegen. Ihr Schicksal war am Himmel in feurigen Lettern festgeschrieben, ihre Verurteilung am Firmament besiegelt, so war nun einmal das Leben, so war es Gesetz. Bis die Rune dereinst ausge löscht würde … Dass die Götter verlangten, dass sie geopfert werden sollten, brach ihnen das Herz, aber da dies Fîrs Wille war, konnten und wollten die Sklaven nur noch beten.
Arekh begriff, dass dies der Grund war, warum die Wachen sich keine große Mühe machten. Sie wussten, dass ein
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