Pakt mit dem Feind
schlecht von ihr. Zum einen, weil die Heirat ja immerhin seine Idee gewesen war. Und zum anderen, weil sie eine geschäftliche Verbindung zum beiderseitigen Vorteil eingegangen waren, ohne falsche Erwartungen zu hegen. Er fragte sich, ob der arme alte Horace gewusst hatte, dass Mimi nur hinter seinem Geld her gewesen war.
Max schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. “Nun ja. Man sagt ja, Alter schützt vor Narrheit nicht.”
“Verständlich, dass du so denkst”, murmelte Talitha. “Ich muss zugeben, auch ich habe das anfangs geglaubt. Wir alle. Aber wir wurden bald eines Besseren belehrt. Mimi hatte eine schwierige Kindheit hinter sich. Nach dem Tod ihrer Eltern wurde sie von einem Verwandten zum nächsten weitergereicht. Aber niemand wollte sie. Nach ungefähr einem Jahr kam sie ins Heim, und das war’s. Bis sie sechzehn war, lernte sie ein Heim nach dem anderen von innen kennen. Dann beschloss sie, dass sie genug davon hatte, und ist abgehauen.”
Mit einem nachsichtigen Lächeln beugte sich Tante Talitha zu Max. “Als Horace sie traf, war sie Turniertänzerin. Ich glaube, er war der erste Mensch, der ihr ehrliche Liebe entgegenbrachte. Und Mimi liebte ihn auch, von ganzem Herzen. Über zwanzig Jahre lang waren sie eines der glücklichsten Paare, die ich je gekannt habe. Es hat sie fast umgebracht, als sie ihn verloren hat. Horace, Gott hab ihn selig, hat durch ihre vorlaute Art hindurch und direkt in ihr Herz gesehen, und dort fand er Gutmütigkeit, Mitgefühl, Ehrlichkeit.
Und Elizabeth ist mit dem klaren Blick des Kindes dasselbe gelungen. Mimi ihrerseits hat den aufgestauten Schmerz und die Trauer in den Augen eines kleinen Mädchens erkannt, das gerade seine Mutter verloren hatte. Wenn die Einsamkeit für Elizabeth unerträglich wurde, hat sie sich durch die Hecke zwischen den beiden Anwesen hindurchgezwängt und ist zu Mimi gegangen. Sie musste nichts sagen. Mimi hat nur einen Blick auf das traurige kleine Gesicht geworfen und dann alles stehen und liegen gelassen, um das Kind in den Arm zu nehmen.”
Talitha schüttelte den Kopf. Die Erinnerungen zauberten einen weichen Ausdruck auf ihr Gesicht. “Wenn Elizabeth verschwand, wusste ich immer, wo ich sie finden konnte. Wie oft bin ich in den Wintergarten der Whittingtons gekommen und habe Mimi vorgefunden, die Elizabeth auf dem Schoß hatte und sie tröstete.”
Talitha sah Max an. “Ich werde Mimi ewig dankbar sein, dass sie Elizabeth geholfen hat, diese schreckliche Zeit zu überstehen. Die beiden hatten seitdem eine enge Beziehung. Natürlich hat sie sich im Laufe der Jahre verändert, als Elizabeth älter wurde. Was als Verhältnis zwischen einem Kind und einer Erwachsenen angefangen hat, ist längst zu einer gleichberechtigten Freundschaft geworden. Aber nah stehen sie sich nach wie vor. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sie sich nicht sehen, und wenn es nur für die Tanzstunde ist.”
“Tanzstunde?”
“Mimi hat angefangen, Elizabeth Tanzstunden zu geben, als sie neun Jahre alt war. Bis heute tanzen sie jeden Morgen eine Stunde zusammen in dem Studio im Haus der Whittingtons. Selbst hier hat Elizabeth über dem Kutscherhaus einen Raum dafür ausbauen lassen. Sie tanzen, um in Form zu bleiben und weil sie Spaß daran haben.”
“Hmm. Da würde ich gern einmal zuschauen.”
“Viel Glück. Elizabeth mag kein Publikum. Aber was ich eigentlich mit der langen Geschichte sagen wollte, ist, dass der Himmel uns Mimi geschickt hat, als das Kind sie brauchte. Und heute ist sie Elizabeths beste Freundin.”
“Vielen Dank, dass du mir das erzählt hast”, sagte Max. “Jetzt ergibt das alles mehr Sinn.”
“Ja. Es ist interessant, wie sich das feste Bild, das man von einer Person hat, durch einen anderen Blickwinkel ändern kann, nicht wahr?” Talitha hielt seinen Blick gefangen. In ihren verblassten blauen Augen erkannte Max die Klugheit eines langen Lebens.
“Ja. Ja, stimmt.”
“Darf ich dir einen Rat geben?”
“Sicher.” Max hatte das Gefühl, sie würde es sowieso tun, egal was er sagte.
“Ein kluger Mann würde nicht versuchen, diese Freundschaft zu zerstören.”
Er dachte einen Moment darüber nach. Dann nickte er. “Ich bin sicher, dass du recht hast.”
Sobald sie sich außer Hörweite befanden, drückte Mimi Elizabeths Arm und beugte sich vertraulich zu ihr. “Ich bin schon seit Stunden ganz wild drauf, dich unter vier Augen sprechen zu können, damit ich dir diese Frage stellen kann: Wie ist er?”,
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