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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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noch eine Frage von wenigen Watschelschritten zu sein. Bücher sind weicher als Stein, rief sich Pala ins Bewusstsein, ein aberwitziger Gedanke, der ihr wenig Freude spendete. Zum Abspringen fehlte ihr der Mut. Während sie sich gedanklich auf eine größere Anzahl von Knochenbrüchen einstellte, breitete das Pelikorn seine mächtigen Schwingen aus, was indes ohne erkennbare Wirkung blieb. Massimo brauste mit dem tonnenschweren Gewicht eines Nashorns weiter durch den Burghof – bis er plötzlich zu flattern begann.
    Wundersamerweise erhob sich das Pelikorn unmittelbar vor der Mauer in die Lüfte.
    Nun schrie Pala doch, denn der Steigflug übertraf alle ihre Erwartungen. Massimo zog steil nach oben, streifte mit einem Hinterbein die Mauerkrone, riss hierbei ein paar Buchseiten los und leitete umgehend einen Sturzflug ein. Eine Achterbahn war ein Karussell dagegen.
    »Du sollst mich zum Fenster hinauftragen!«, rief Pala. Ihre Haare flatterten im Wind, die Wangen schlackerten im Gesicht, ihre Augen tränten beim Anblick des heranrasenden Bodens. Abermals drohte die Gefahr eines Aufschlags, eines tödlichen jedoch.
    Massimo schien die Sorgen seiner Schöpferin zu erraten und gab sich alle Mühe, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. Erfreulich früh gewann er die Kontrolle über seinen drallen Körper zurück. Er streifte nicht einmal die Stilblütenfelder, als er sich abfing und wieder in den Steigflug überging.
    Mit kräftigen Flügelschlägen schraubte sich das Pelikorn nun in die Lüfte. Bald zog es hoch über der Festung seine Runden. Es war ja der erste Flug in seinem Leben, hielt ihm Pala zugute, ein paar Übungsschleifen mussten da schon erlaubt sein. Allerdings hätte sie sich manche Mühsal ersparen können, wenn sie Massimo gleich am Fuße des Schlossberges erschaffen…
    »Was tust du da?«, rief sie entsetzt, als das Pelikorn über einer winzig kleinen Zitadelle erneut abtauchte.
    Die geschrumpfte Burganlage blähte sich wieder zur Originalgröße auf, während sie atemberaubend schnell heranstürzte. Massimos schwerer Federleib raste zielsicher auf die Hauswand zu, die Pala sich für ihren Einstieg ausgesucht hatte. Der geflügelte Klops hatte ein kleines Fenster ins Visier genommen, unmöglich für ein Pelikorn, da hindurchzupassen. »Jetzt ist es vorbei«, hauchte Pala, als sie die Bücherwand fast schon greifen konnte. Massimo würde daran zerschellen und samt Reiterin in den Burghof stürzen.
    Doch es kam anders.
    Dicht vor der Wand verlagerte das Pelikorn seinen Schwerpunkt auf den Bürzel, sein Kopf und seine Beine flogen nach vorn und sämtliche Federn spreizten sich in den Wind. Das Bremsmanöver war eine Meisterleistung: Das spitze Nasenhorn schrammte gegen den Fensterrahmen und drückte ihn krachend nach innen, gleichzeitig flog das Mädchen am Pelikornhals vorbei in Richtung Haus. Einen Wimpernschlag später landete es unsanft auf einem dicken Teppich, rollte herum und erhaschte gerade noch einen Blick auf sein Pelikorn, das bereits in Richtung Burghof verschwand.
    Benommen blieb Pala liegen und versicherte sich ihrer Vorbehalte gegen das Fliegen. Anschließend versuchte sie das Gefühl für ihren Körper zurückzugewinnen. Wo befanden sich doch gleich ihre Beine? Soweit sie sich erinnerte, irgendwo unten. Und wo war unten? Gegenüber dem Kopf. Allmählich fand sie sich wieder zurecht.
    Dafür kamen ihr nun ernste Zweifel an der Art ihres Eindringens. Vermutlich hatte sie längst das ganze Schloss alarmiert. Schwerfällig ging sie auf alle viere und lauschte in sich hinein. Knochenbrüche schien sie keine zu haben.
    Der Raum, in den das Pelikorn sie katapultiert hatte, besaß einen verschnörkelten Tisch mit vergoldeten Beinen, zwei ähnlich schwülstige Stühle mit rotem Glanzbezug und einen Kamin, über dem das Gemälde eines aufgeschlagenen Buches hing. Die Wände waren mit einer grünsamtenen Stofftapete bespannt, auf der goldene Schriftzeichen aus aller Herren Länder schimmerten. Alles in dem Raum sah altertümlich und zugleich so aus, als wäre es noch nie benutzt worden.
    Nachdem Pala schwankend auf die Beine gekommen war, galt ihr erster Gedanke einem sicheren Versteck. Tozzo hatte von fünffüßigen Kreaturen gesprochen, die dem Schlossherrn zur Hand gingen. Ihnen in die Klauen zu fallen könnte jede Unterredung mit Zitto unmöglich machen. Auf leisen Sohlen schlich Pala zur einzigen Tür des Zimmers. Als sie diese öffnete, erlitt sie einen Schock.
    »Wenn du dich nicht wehrst,

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