Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte
Zwar hatte sie schon einige sprechende Papageien gesehen, aber ein derart geschwätziges Exemplar war ihr bisher noch nicht untergekommen. Auch äußerlich präsentierte sich die gefiederte Quasselstrippe nicht gerade zurückhaltend. Überwiegend war sie zwar froschgrün, aber die Flügel leuchteten zitronengelb und feuerwehrrot, am Kopf ließ sich Türkisblau, Orangerot, Torfbraun, Pechschwarz und Schneeweiß ausmachen. Für einige Farben wollte Pala kein passender Name einfallen. Außerdem war sie beschäftigt. Sie musste staunen.
»Das«, verkündete Vater mit wichtiger Miene, »das ist ein Papperla-Papagei und so stellt man ihn wieder ab.« Er stülpte den Kartondeckel über den Vogel, was diesen augenblicklich verstummen ließ.
»Hat er auch einen Namen?«, erkundigte sich Mutter, argwöhnisch die Kiste musternd.
»Wie ich Pala kenne…«, hob der Vater an und schon hatte seine Große einen Vorschlag.
»Ich würde ihn Papperlapapp nennen.«
Nina kreischte übermütig: »Papp, papp.«
Der Vater rümpfte die Nase. »Klingt vielleicht etwas albern, wenn man bedenkt, wer ihn uns geschenkt hat.«
»Aber irgendwie passt’s zu ihm«, meinte Pala.
»Er wird uns sämtliche Haare vom Kopf fressen«, unkte die Mutter.
»Woher stammen eigentlich die vielen Neuigkeiten, die er uns versprochen hat?«, setzte Pala hinzu.
»Zwei Fragen, eine Antwort«, entgegnete der Vater vergnügt, bückte sich nach seiner abgewetzten Ledertasche und zog eine kleine Pappschachtel mit einem Fenster aus Klarsichtfolie hervor. Dahinter waren unzählige knallbunte Kügelchen zu sehen. Er schüttelte die Schachtel. Ein helles Klappern erscholl.
»Wie man uns bei der Überreichung der Geschenke in einer kurzen Einweisung erzählte«, fuhr er fort, »gewinnen die Papperlas ihre famosen Kenntnisse aus dem Futter. Abgesehen von normalem Trinkwasser brauchen sie nicht mehr als diese kleinen, bunt schillernden ›Plapperperlen‹ hier. Ich habe gleich ein Päckchen mitbekommen. Man kann das Futter aber auch für wenig Geld in jedem von Zittos Läden kaufen.«
Mutter runzelte die Stirn. »Du weißt, ich gehe so gut wie nie in die Zittomärkte. Praktisch alles, was wir brauchen, bekomme ich auch an den Marktständen beim Rathaus.«
Vater lachte. »Ja, ja, und den neuesten Klatsch und Tratsch noch dazu. Meinetwegen kannst du ja weiter zum Markt hinunterlaufen und einmal in der Woche gehst du in Zittos Laden. Du wirst sehen, das spart eine Menge Zeit und Geld, weil du dort alles unter einem Dach findest. Und sag doch ehrlich, ist er nicht bildhübsch?«
»Na ja, ein wenig grell vielleicht. Ich mag gar nicht an den Schmutz denken, den er…«
»Keine Sorge, uns wurde versichert, die Tiere seien sehr reinlich. Es genüge, die Papperla-Streu unter der Sitzstange einmal wöchentlich zu wechseln, weil sie ihr Futter in trockene, geruchlose Kotklümpchen umwandeln. Und was sie trinken, hieß es, werde durch Verdunstung ausgeschieden.«
Pala kicherte. »Sehr pflegeleicht!«
Ihre Mutter war von den Vorzügen des Vogels noch immer nicht überzeugt. »Selbst wenn die Streu und diese Plapperperlen billig sind, ist die Haltung so eines Papageis wohl kaum umsonst.«
»Wer sagt denn das? Ich habe heute eine Gehaltserhöhung bekommen, und wenn ich mich für die Firma so richtig ins Zeug lege, wird Zitto bald ein hübsches Sümmchen obenauf packen. Wir könnten uns alle ausschließlich von Plapperperlen ernähren und hätten immer noch mehr Geld zur Verfügung als bisher.«
»Papp, papp«, quietschte Nina.
Und Pala sagte: »Igitt!«
Das grellbunte Federvieh plapperte ununterbrochen. Papperlapapp war ein schier unerschöpflicher Quell von Neuigkeiten, Ratschlägen für eine »moderne, erfüllte und sinnvolle Lebensführung« sowie für alle möglichen Geschichten. Er konnte sogar Witze erzählen und unzählige Lieder singen. Bald fand auch Palas Mutter Gefallen an dem unterhaltsamen Vogel. Sie konnte tagsüber im Haushalt arbeiten, sogar ohne Reue auch einmal auf den Gang zum Marktplatz verzichten und blieb über Silencias Tagesgeschehen trotzdem stets auf dem Laufenden.
Auf Nina übte der Papperla-Papagei eine besondere Faszination aus. Selten hatte Pala ihre kleine Schwester so still erlebt wie zu jenen Zeiten, da der Vogel seine Kindergeschichten zum Besten gab. Wenn Vater mittags zum Essen kam, wurde der Papperla mit einem Tuch zugedeckt, was ihn zumindest vorübergehend zum Schweigen brachte. Aber am Nachmittag, wenn Pala ihren Freund,
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