Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte
durch Treppenlabyrinthe rennt? Er mag ja Recht haben, aber wer sagt uns, ob nicht die Idee, Zitto in seinem Schlupfwinkel aufzustören, der größte aller Fehler ist? Immerhin… Ach, ich weiß nicht! In meinem Kopf schwirrt alles durcheinander.«
»Meinst du, mir geht es anders? Aber vielleicht haben wir dieses Herumirren in der Unterwelt und die Erfahrung mit diesem Baum gebraucht, um unser Denken zurechtzurücken. Ich möchte Zitto jedenfalls daran hindern, mir noch einmal so etwas wie gestern Abend anzutun. Und das erreiche ich nicht, wenn ich vor ihm weglaufe. Ich muss mich ihm stellen. Da oben, in seiner Burg.« Pala deutete zur Zitadelle hinauf. Je klarer sie ihre Gefühle zum Ausdruck brachte, umso kühner klang ihre Stimme.
Endlich ließ sich auch Giuseppe von ihrem wieder erstarkten Mut anstecken. Er nickte langsam, wagte sogar ein kleines Lächeln und sagte: »Du hast ja Recht: Der Sieg winkt nur dem Tapferen. Lass uns weitergehen.«
Jeder Schritt zur Burg hin trug sie weiter davon weg. Nach kurzer Zeit blieben Pala und Giuseppe erneut stehen. Die Festung war nun in unleugbar weite Ferne gerückt. Sie ragte aus einem feinen Nebelschleier und sah farblos, beinahe unwirklich aus.
Um ihr Ziel zu erreichen, würden die beiden Wanderer eine Senke durchqueren müssen, die ihnen vorher nicht aufgefallen war.
Giuseppe stemmte die Fäuste in die Seiten, starrte die Zitadelle böse an und schüttelte wieder den Kopf. »Nein, nein und nochmals nein! Das gibt es einfach nicht.«
Pala sah ihn besorgt an. »Manchmal hast du für einen Märchenerzähler erschreckend wenig Phantasie.«
»Ich versuche nur gerade meiner Fassungslosigkeit Herr zu werden.«
»Ach so. Hast du dich schon einmal umgedreht?«
»Nein. Wieso…?« Giuseppe war Palas Empfehlung gefolgt und erlitt gerade den nächsten Schock. Auch die Grenzmauer des Schlossgartens lag so weit unter ihnen, als wären sie schon kilometerweit gewandert. Das Taufhaus, ja, das gesamte Kloster war verschwunden. Und die Häuser Silencias konnte man bestenfalls noch erahnen. Sie glichen eher einem Feld, in dem sich braune und ockerfarbene Töne mischten.
»Ich wüsste zu gerne, wie er das macht«, murmelte Pala.
»Wer?«
»Zitto. Er lässt Mauern, Treppen und Gärten wachsen, wie es ihm beliebt. Glaubst du an Zauberer, Giuseppe?«
Der prächtige Adamsapfel des Erzählers hüpfte einmal auf und nieder. »Ja, aber ich verbinde mit dieser Vorstellung nichts Gutes. Vielleicht haben wir uns zu blauäugig in dieses Abenteuer gestürzt. Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Wir sollten schleunigst von hier verschwinden.«
Inzwischen hatte auch Pala sich mit dem Gedanken abgefunden, Zittos Burg nicht im Sturm erobern zu können. Neben Mut und Entschlossenheit war hierzu vor allem ein vernünftiger Plan erforderlich. Schweren Herzens willigte sie in Giuseppes Vorschlag ein. Und dann begannen beide zu laufen.
Hurtig ging es bergab. Ihre Füße stampften grünes Gras nieder, bunte Wiesenblumen leuchteten darin – eher beiläufig bemerkte Pala das Fehlen des Kiesweges. Wann hatten sie ihn eigentlich verlassen? Auch das Birkenwäldchen dort am Flusslauf war ihr zuvor nicht aufgefallen. Sie rannten in eine flache Mulde hinab. Als sie am anderen Ende, dicht bei den Bäumen, wieder herauskamen, war Zittos Mauer verschwunden. Dort, wo sich Silencias Dächer befinden mussten, ließ sich ein etwas dunklerer Fleck ausmachen, der alles Mögliche sein konnte.
»Halt!«, schrie Giuseppe. Er war völlig außer Atem. »Halt, Pala!«
Sie blieb neben ihm stehen und starrte ängstlich zu dem einzigen Orientierungspunkt hin, der ihnen noch die Richtung nach Hause anzeigen konnte.
»Das gibt es doch nicht!«, wiederholte Giuseppe wohl schon zum hundertsten Mal. In seinem Gesicht spiegelten sich Ungläubigkeit, Verzweiflung und Furcht.
Pala blickte hinter sich, wie ihr Freund es gerade getan hatte, und seufzte: »Jetzt ist die Burg auch noch abgehauen.«
»Burgen hauen nicht ab, Schwesterlein. Sie stürzen aus allen möglichen Gründen zusammen oder lassen sich von Sonne, Regen und Wind zu Staub zermahlen, aber sie sind nicht umtriebig genug, um einfach abzuhauen.«
Pala deutete mit dem Kopf in die vermutete Richtung der verschwundenen Burg. »Diese da ist aber ausgebüxt. Du weißt ja: Keine Regel ohne Ausnahme.«
»Bevor wir noch einen einzigen Schritt weitergehen, sollten wir erst einmal gründlich nachdenken.«
»Guter Vorschlag. Noch zehn Schritte und wir haben auch
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