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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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erdfarbene Wollhose. Seine nackten Füße steckten in gleichfalls braunen Schuhen, wie sie bisweilen die Fischer am Meer trugen. Den Blick noch auf den Hang geheftet, deutete er hinauf zu einem breiten Kiespfad, der ganz in der Nähe begann und sich zur Burg hochschlängelte.
    »Wir nehmen am besten diesen Weg dort.«
    Pala blinzelte benommen, und aus dem jungen Heerführer, der seinen Schlachtplan entwarf, wurde wieder Giuseppe der Geschichtenerzähler, ihr »großer Bruder und Beschützer«. Sie lächelte. »Einverstanden. Ich bin froh, nicht mehr den Staub von Trümmern einatmen zu müssen.« Sie lief einige Schritte voraus und weil Giuseppe ihr nicht sogleich folgte, blieb sie noch einmal stehen und wandte sich zu ihm um. Dabei entdeckte sie ein auffälliges Licht am Himmel. »So etwas habe ich noch nie gesehen!«
    Die Verzückung in ihrer Stimme lenkte Giuseppes Aufmerksamkeit endlich von dem Schlossberg ab und er folgte ihrem Blick. Weil die Ruine des Taufhauses ihm jedoch die Sicht versperrte, lief er rückwärts einige Schritte den Hang hinauf, bis auch er sehen konnte, was Pala so in Erstaunen versetzt hatte.
    Am Himmel über den Dächern Silencias klaffte ein Riss, der schnell schmaler wurde. Es war nicht einfach nur ein Loch in den Wolken, sondern ein Spalt, wie wenn eine gigantische Tür sich schloss. Jenseits dieser Himmelspforte strahlte ein überirdisches Blau. Gleich einem riesigen glänzenden Schleier fiel das Licht auf die Stadt herab, die in seinem gelben Schimmer seltsam klein anmutete. Der unwirkliche Anblick währte nur einen kurzen Moment, dann schloss sich die Tür und Grau beherrschte das Firmament.
    Benommen starrten die beiden noch eine ganze Weile in den wabernden Wolkenbrei, doch das ergreifende Schauspiel war vorüber. Als Pala endlich wieder zu sich kam und den Blick sinken ließ, bemerkte sie ein Wandgedicht, das sich über dem Eingang des Taufhauses befand.
     
    Die Offenheit lässt den Verschwörer weichen,
    verkriechen sich in finsteren Verstecken,
    um schlimmere Hinterlisten auszuhecken
    und Beistand sich zu suchen bei den Reichen.
     
    Gewinnsucht wie auch Machtgier und dergleichen
    verführt die Schwächlinge zum Speichellecken.
    Des Schweigens Mantel über Unrecht decken,
    rangiert für sie nur unter Schelmenstreichen.
     
    Mit Günstlingen nicht laut im Chor zu singen
    noch gierig nach des Armen Brot zu schnappen,
    verlangt um Liebe immerfort zu ringen.
     
    Erst Feindes Schliche kenn’n, ihn dann ertappen:
    Mit diesem Plan kann Freunden doch gelingen,
    das Netz von Ichsucht, Stolz und Neid zu kappen.
     
    »Merkwürdig«, murmelte sie.
    »Als hätte jemand eine Tür hinter uns zugeschlagen«, flüsterte Giuseppe.
    »Ich rede von dem Gedicht da.« Pala deutete zum Taufhaus hin.
    Giuseppe überflog die Zeilen und zuckte dann die Achseln. »Ich weiß gar nicht, was dich daran stört. Passt doch wunderbar: Wenn wir des Feindes Schliche kennen, können wir sein Netz von Ichsucht, Stolz und Neid kappen. Ich frage mich allerdings, warum Zitto ausgerechnet diesen Spruch noch nicht entfernt hat.«
    »Ja, seltsam – aber fällt dir nichts an der ersten Zeile auf?«
    »Die Übereinstimmung mit dem Sonett aus der Universität, meinst du? Es gibt hunderte von Wandgedichten in Silencia oder zumindest gab es sie, bevor Zitto damit angefangen hat, sie auszumerzen. Wenn da der eine Dichter gelegentlich vom andern abgeschrieben hat, wundert mich das überhaupt nicht.«
    »Und was sagst du, wenn ich dir von einem weiteren Sonett am Friedhofstor erzähle, dessen Schlusszeile genau dem Auftakt deines Hochschulgedichtes entspricht?«
    Giuseppe wurde nun doch nachdenklich. »Am Friedhof, sagst du?«
    Sie nickte. »Den Tod erfreut’s, der still liegt auf der Lauer. Merkwürdiger Zufall, nicht wahr?«
    Ein verschmitztes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. »Eigentlich nicht. Bei dem Spruch am Friedhofstor handelt es sich nämlich um das Geburtsgedicht eines anderen Oratore. Soweit ich weiß, war er sogar der Sohn jenes Gönners, der sich an der Universität verewigt hat. Vermutlich stammen sogar beide Sonette von seinem Vater.«
    »Möglich«, brummte Pala. Sie musste an die unzähligen Gedichte denken, die sie in den letzten Jahren gelesen und gehört hatte. Mit der ihr eigenen Sicherheit in solchen Dingen konnte sie darunter jene an den Fingern abzählen, die sich mit ihren End- und Eingangszeilen wie einzelne Kettenglieder aneinander reihten.
    »Können wir jetzt gehen?«, drängte

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