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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Silencia aus den Augen verloren.«
    Sie setzten sich am Rand der Mulde ins Gras. In seiner Fahrigkeit brauchte der Geschichtenerzähler dazu zwei Anläufe, weil er sich beim ersten Mal auf die spitze Kante eines linsenförmigen Steins hatte fallen lassen und mit einem Schmerzensschrei wieder hochgefahren war. Anschließend begannen die beiden zu grübeln.
    Pala betrachtete dabei die nahen Bäume. Die hellen Flecken ihrer Rinde waren nicht weiß, sondern zart rosafarben. Auch die Form der runden Blätter entsprach nicht jener, die man sonst von Birken kennt. Vermutlich handelte es sich um eine spezielle Züchtung, die nur in Zittos Garten gedieh. Palas Blick schweifte über die Wiese und blieb schließlich an einer kleinen Blume hängen, die neben ihr aus dem Gras lugte. Das Blütenköpfchen erinnerte sie an eine Kornblume, obwohl seine aus winzigen Einzelblüten bestehende Krone nicht violettblau, sondern schneeweiß und in der Mitte leuchtend rot war. Sanft fuhr Pala mit Daumen und Zeigefinger den kurzen Stiel hinauf, streichelte die schmalen grünen Blätter und berührte schließlich die Unterseite der becherförmigen Hülle, die das Blütenköpfchen schützte. Plötzlich, als hätte sie in eine Brennnessel gefasst, durchfuhr sie ein feuriger Schmerz.
    »Autsch!« Palas Hand zuckte zurück, sie sprang auf die Füße und pustete kräftig auf die schmerzenden Finger. Doch anstatt sich zu beruhigen, erfüllte das Brennen bald ihren ganzen Körper. Es war eine Woge glühenden Zorns, die Pala erzittern ließ, das gleiche, nein, dasselbe Gefühl, das abends zuvor Kuschel in ein zerstörerisches Geschoss verwandelt und den Papperla-Papagei von seiner Stange gefegt hatte.
    Wütend funkelte Pala das Blümchen an, das zu ihrer Verwunderung nun nicht mehr weiß, sondern puterrot war. Ihr bangte vor dem, was noch folgen mochte. Das Erlebnis bei der Trauerweide noch frisch im Sinn, hob sie den linken Fuß und ehe sie überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte sie das garstige Pflänzchen auch schon ins Gras getreten. »So«, rief sie mit tränenfeuchten Augen, »das hast du jetzt davon.« Die Zornglut erstarb, so schnell, wie sie gekommen war. Das Blümchen wurde wieder blass.
    Den Schreck noch in den Knochen, zitterte Pala wie Espenlaub. Mit einiger Mühe gelang es Giuseppe, sie wieder zu beruhigen. Erst als sie von ihrem Zorn sprach und er sein Verständnis für ihre Gefühle ausdrückte, ging es ihr allmählich besser.
    Der Erzähler beugte sich neugierig zu dem geknickten Blümchen herab.
    »Fass es ja nicht an!«, warnte Pala.
    »Sieht aus wie eine weiße Kornblume«, brummte Giuseppe.
    »Zornblume wäre wohl der passendere Name.«
    »Vielleicht heißt sie ja wirklich so. Ist dir die merkwürdige Farbe der Birken auch schon aufgefallen?«
    Sie blickte kurz zum Waldrand hinüber und nickte. »Rosa Rinde – hier scheint nichts so zu sein, wie wir es kennen.«
    »Umso vorsichtiger sollten wir uns in diesem Garten bewegen, Pala. Er scheint voller Überraschungen zu sein, und nicht wenige davon sind von der unangenehmen Art. Wenn du das nächste Mal den übermächtigen Drang verspürst, einen Baum oder eine Blume zu berühren, dann lass es lieber bleiben.«
    Pala versprach, daran zu denken. »Ob es wohl möglich ist, das Wasser in dem Flüsschen da drüben zu trinken? Du glaubst gar nicht, was für einen Durst ich mit einem Mal habe.«
    Giuseppe betrachtete sie prüfend. »Könnte eine Folge der Zornglut sein. Am besten du setzt dich hier wieder ins Gras und erholst dich, während ich den Weg zum Fluss erkunde.«
    Sie umrundete den flachen Stein, der die erste Sitzprobe ihres Freundes gestört hatte, und ließ sich in sicherem Abstand zu den Wiesenblumen nieder. Giuseppe wagte hierauf die wenigen Schritte zu dem schnell fließenden Flüsschen, um eine Hand voll Wasser zu trinken. Pala behielt derweil den Silencia-Fleck im Auge. Er rührte sich nicht von der Stelle. Nachdem Giuseppe unversehrt zurückgekehrt war, ging sie ihren Durst löschen und er bewachte die Stadt.
    »Was nun?«, fragte er, als Pala wieder neben ihm saß.
    Sie zuckte mutlos die Achseln. »Du magst mich ja für eine überspannte Zicke halten, aber…«
    »Das bist du nicht, Pala! Ich halte dich sogar für ein außergewöhnlich gescheites Mädchen.«
    »Ist ja auch egal. Mir geht nicht aus dem Kopf, was in dem unterirdischen Treppenlabyrinth geschehen ist. Ich glaube, die Lösung für unsere verzwickte Lage steckt in uns selbst.«
    »Das, fürchte

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