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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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bordeauxrote Bestie brummte von hinten an sie heran. Giuseppe wirbelte herum und schrie vor Schmerz auf. Der Angreifer hatte ihm den Keulenarm aufgeschrammt. Die Waffe fiel zu Boden. Das wortsaugende Unwesen stieß einen überraschend menschlich klingendem Freudenruf aus und stürzte sich auf das so gut wie wehrlose Opfer. Schon berührten spinnenbeinerne Finger dessen Gesicht, als ein buchstäblicher Schwinger den Unhold aus der Gefahrenzone fegte.
    »Pfoten weg!«, fauchte Pala dem Wortklauber hinterher, der quäkend durch die Luft taumelte, bis er von einem Baum gebremst wurde – sie hatte ohne Zögern die am Boden liegende Keulenweste gepackt und kraftvoll himmelwärts geschwungen. Schnell half sie ihrem verletzten Kampfgenossen wieder auf die Beine und zog ihn mit sich.
    Der erbitterte Widerstand des zahlenmäßig unterlegenen Gegners wie auch die ersten Ausfälle in den eigenen Reihen schienen die hässlichen kleinen Ungeheuer zu verwirren. Für kurze Zeit hielten sie inne, um sich zu beraten. Pala traute zunächst ihren Ohren nicht. Die merkwürdig schnarrenden Laute der Nachtschwärmer klangen tatsächlich wie Worte!
    »Ist nur ein Kratzer. Es geht schon wieder«, stöhnte Giuseppe und nahm Pala die Behelfskeule ab. Während sie sich immer weiter den Bäumen näherten, versuchten sie die brummend in der Luft stehenden Wortklauber mit Blicken einzuschüchtern.
    Die fliegende Kohorte sah Furcht einflößend aus. Jeder Kämpfer besaß scharfe Krallen an den Füßen, übergroße böse Augen, ein gieriges kleines Maul, eine lächerlich kleine Nase und spitze, dreieckige Ohren. Eher untypisch für eine derart militärisch auftretende Angreiferschar, unterschieden sich die Wortklauber farblich sehr. Manche leuchteten in geradezu fröhlichen Tönen, andere dagegen sahen auf eine abstoßende Weise dunkel und schmutzig aus.
    »Wenn ich ›jetzt‹ rufe, nimmst du die Beine in die Hand und läufst in den Wald – verstanden?«, raunte Giuseppe an Palas Seite.
    Sie nickte und er rief: »Jetzt!«
    Nun begann ein munterer Wettlauf. Pala und Giuseppe hasteten zwischen den Bäumen hindurch und die Wortklauber jagten hinterher. Normalerweise hätten diese ihre Beute wohl binnen kurzem eingeholt, aber sie waren schlechte Tiefflieger. Schnelles Laufen verhinderten ihre schlappen Stummelbeine. Daher mussten sie sich ihre bevorzugte Flughöhe mit etlichen Stämmen und ungezählten Ästen teilen. Hierbei entstanden erhebliche Mengen Kleinholz.
    »Hängen wir sie ab?«, rief Giuseppe, dessen längere Beine ihm einen Vorsprung verschafft hatten.
    Krach! Ein veilchenblauer Wortklauber donnerte gegen einen Ast.
    »Kann ich nicht genau sagen. Ein paar sind jedenfalls noch da«, antwortete Pala und bückte sich nach einem Knüppel.
    Wumm! Kurz vor dem Zupacken war einem zinnoberroten Brummer ein Baum in die Quere gekommen.
    »Zum Glück ist der Hain so groß.« Giuseppe zog den Kopf ein, weil ein quiekender Wortklauber im Geäst über ihm wie an der Reckstange Purzelbäume schlug.
    Pala sprang zur Seite, um dem Aufschlag eines anderen aus dem Wege zu gehen. »Das ist kein Hain mehr«, hechelte sie, »sondern ein Wald!«
    »O nein!«
    »Alles…« Sie drosch ihren Prügel einem sepiabraunen Nachtschwärmer zwischen die Augen, worauf dieser sich unter erheblicher Geräuschentwicklung titanweiß verfärbte und nach einem kurzen Taumelflug kopfüber in den grünen Boden bohrte. »Alles verändert sich! – Ich kann gleich nicht mehr, Giuseppe.«
    »Da entlang!«
    Pala stolperte ihm hinterher. Acht oder zehn pfeifende Atemzüge später konnte sie in Laufrichtung, obwohl sich zwischen den Bäumen bereits die Nacht einnistete, den dämmernden Himmel sehen. Endete der Wald nun etwa im unpassendsten Augenblick? Den Nachtschwärmern konnte ein holzfreier Luftraum nur recht sein. Ihre Reihen hatten sich zwar gelichtet, aber sie rückten immer noch hartnäckig vor. Offenbar waren die Kreaturen ziemlich robust, denn einige Zurückgebliebene rappelten sich schnell wieder vom Boden auf, um erneut zu ihren Kampfgenossen aufzuschließen. Nicht mehr lang und die wortrünstigen Bestien würden gnadenlos zu Ende bringen, was sie sich vorgenommen hatten.
    Mit diesen an sich schon unbequemen Gedanken beladen, entdeckte Pala vor sich nun auch noch eine grauschwarze Leere, von der wenig Beruhigendes ausging. Ihre bisherigen Erfahrungen mit Zittos Reich hielten für dieses Nichts auch gleich ein paar Vorschläge parat: bodenloses Loch, gähnende Schlucht, das

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