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Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte

Titel: Pala und die seltsame Verflüchtigung der Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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weichen schwarzen Haaren besetzt. Nur das flache, schwarzbraune, den Gedanken an einen Kobold nahe legende Gesichtchen entbehrte jeglichen Bewuchses. Es war von einem schneeweißen, ungefähr fingerbreiten Haarkranz umgeben. Ein zweites schimmerndes Band umschloss den Hals und setzte sich als langer Leuchtstreifen über den Rücken bis zum Ende des langen buschigen Schwanzes fort. Die kleinen Hände des Zeterers verfügten über jeweils fünf Knubbelfinger und waren an der Innenfläche ebenfalls unbehaart.
    Pala wartete geduldig, bis die Kräfte des flauschigen Meckerers erlahmten. In sicherem Abstand vom Körper hielt sie ihn mit beiden Händen und erduldete seine Beschimpfungen. Dann wiederholte sie ihre Fragen. Endlich antwortete der Kleine, wenn auch mit hörbarer Verärgerung.
    »Bin Nusch’l.«
    »Bist du ein Nuschel oder ist das dein Name?«
    »Nusch’l is’ ‘n Nusch’l. Un’ nun lass mich geh’n, Grobiane!«
    »Etwas mehr Höflichkeit, wenn ich bitten darf! Ich heiße weder Grobian, noch Grobiane, sondern Pala. Schreib dir das hinter deine Ohren, Nuschel. Außerdem hast du mir immer noch nicht gesagt, woher du kommst und was du hier treibst.«
    »Bin von einem Missverständnis gebor’n word’n, das ‘n Bräutigam seiner Braut ins Ohr genusch’lt hat. Sie hat ihm dafür ‘ne Ohrfeige gegeben.«
    »Das tut mir Leid. War’s denn so schlimm?«
    »Er hat sie geküsst und dann gestöhnt: ›Ich muss-es ausbrech’n!‹«
    »Ich hoffe, die Dame hat ordentlich ausgeholt.«
    »Er meinte aber: ›Ich muss-es aussprech’n!‹ Von seiner Liebe war die Rede.«
    »Oh! Und wie ging es dann mit dir weiter?«
    »Ich war mit ‘m Mal im Flüsterwald, lebte glücklich und zufrieden, bis-ich in die Hütte lief. Die Baum- Hatschi!«
    »Gesundheit!«
    »Danke. Die Baumasche hat mich angelockt.«
    Pala erinnerte sich des Unwetters, der Blitze und der brennenden Bäume. »Fressen Nuschels etwa Asche?«
    »Wieso ‘n das?«
    »Na, du hast doch gesagt, die Baumasche habe dich angelockt.«
    »Muss-schon hinhör’n, was ich sage. Von Baumasche war nich’ die Rede, sondern von’er Baumasche. Die kleine Hütte sah aus wie ‘n gemütlicher Nuschelbau: trock’n, dunk’l, klein und gemütlich. Ich konnte ihr einfach nich’ widerstehen. Und nu’ bin-ich gefangen hier, so wie du.«
    »Das bedeutet also, du kennst auch keinen Ausgang aus diesem verfluchten Schuppen?«
    »Kenn-ich-nich’«, bestätigte nuschelnd das Nuschel.
    »Das ist bitter. Wie lange sitzt du schon hier fest?«
    »Kann-ich-nich’ sag’n.«
    »Du bist keine große Hilfe, Nuschel.«
    »Mir doch egal.«
    »Hast du Hunger?«
    Nuschels kleine harte Muskeln wurden mit einem Mal fast so weich wie sein Fell und er seufzte sehnsüchtig: »Ja!«
    »Wann hast du zum letzten Mal gegessen?«
    »Kann-ich-nich’ sag’n. Schon lang’ her.«
    »Heißt das, im Haus des Schweigens darbt man ewig, ohne seinen Hunger je stillen zu können?«
    »Das-is’ bei all’n so.«
    »Wispern die Bewohner deshalb pausenlos? Was sagen sie?«
    »Ohne Sinn flüstern sie. Hab’n Hunger, fürcht’n sich, sind allein, woll’n raus. Red’n leere Worte nur, um nichts zu fühl’n.«
    »Daran könnte man doch etwas ändern. Was hältst du davon, wenn wir beide in den Flüsterwald rausgehen und uns etwas zu essen suchen?«
    »Du spinnst.«
    »Weshalb?«
    »Keiner kann hier raus.«
    »Doch, wir schaffen das«, sagte Pala mit einer Zuversicht, die ihr selbst reichlich übertrieben vorkam. »Bleibst du bei mir, wenn ich dich jetzt loslasse?«
    »Nö.«
    »Was? Warum denn nicht?«
    »Muss den anderen Bescheid sag’n. Die woll’n auch raus.«
    »Gibt es viele Gefangene hier?«
    »Ganz viele!«
    »Wenn ich die Tür nach draußen aufbekomme, dann können sie mir alle folgen. Du kannst also ruhig bei mir bleiben.«
    »Wirklich wahr?«
    »Drei von Zittos Rätseln habe ich schon gelöst, das hier schaffe ich auch noch.«
    »Is’ gut, dann bleib-ich.«
    Als Pala das Nuschel vor sich auf den Boden setzte, rannte es sofort los. Schon wollte sie sich wegen ihrer Leichtgläubigkeit innerlich ohrfeigen, aber da kehrte der pelzige Zwerg auch schon zurück. Er konnte einfach nicht still stehen, sondern tippelte unentwegt hin und her, kletterte wie ein kleiner Affe die rauen Wände hoch, klebte zeitweilig sogar an der Decke…
    »Jetzt lass uns nachdenken«, sagte Pala streng.
    Nuschel benahm sich nicht gerade wie jemand, der über diese Fähigkeit verfügte. Seine Geduld musste sehr verkümmert

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