Paladin der Seelen
Mund blieb noch einen Augenblick offen. Schließlich sagte er: »Ich … Ich war immer schon der Ansicht, dass diese Anklage seltsam angegangen wurde.«
»Das Ritual scheiterte, weil Arvol der Mut verließ.« Ista hielt inne; dann platzte es aus ihr heraus: »Und doch hätte ich vielleicht noch alles retten können, hätte ich nur ein Wunder der Heilung gewirkt. Sogar dann noch, als er tot zu unseren Füßen lag. Die Mutter, die Göttin der Heilung selbst, stand zu meiner Rechten, gleich hinter einer … einer seltsamen Biegung der Wahrnehmung. Doch meine Seele war so angefüllt mit Wut und Furcht und Kummer, dass kein Platz mehr blieb für den Eintritt eines Gottes.« Sie blickte wieder zur Seite und auf Illvin. »Wenn ich ihn geliebt hätte, statt ihn zu hassen. Oder wenn … ich weiß es nicht.«
Illvin räusperte sich. »Die meisten Leute schaffen es überhaupt nie, ein Wunder zu wirken. Eine solche Nachlässigkeit dürfte kein Grund für Vorwürfe sein.«
»In meinem Fall schon. Ich war auserwählt.« Sie grübelte, während der Wagen quietschend über die Straße rollte. Nun bin ich wieder auserwählt. Doch wozu? Sie blickte zu Arhys. »Ich frage mich, ob unsere Leben anders verlaufen wären, hätte Euer Vater Euch tatsächlich an den Hof geholt. Vielleicht haben wir den falschen dy Lutez in das Fass gesteckt.« Oh, das war ein Gedanke. »Wie war er mit zwanzig, Illvin?«
»Ganz so wie jetzt«, gab Illvin zurück. »Vielleicht nicht so formvollendet und erfahren. Und nicht so breitschultrig.« Bei der Erinnerung blitzte ein Lächeln auf. »Nicht so vernünftig.«
»Nicht so tot«, knurrte Arhys und blickte missmutig auf seine Hände. Er streckte seine Finger, ballte sie wieder zur Faust. Prüfte er sie auf Taubheit? Auf fortschreitende Taubheit?
»Als ich noch jung und schön war, am Hof zu Cardegoss …« Als Arhys nicht einmal das erste Mal verheiratet gewesen war. Als noch alle Möglichkeiten offen standen. Hätte sie dann vielleicht tatsächlich einen dy Lutez zum Liebhaber genommen und die Verleumdung zur Wahrheit gemacht? Doch Fonsas düsterer Fluch hatte alle keimenden Hoffnungen an diesem Hof zunichte gemacht – in was für einen Schrecken hätte er diesen süßen Traum verwandelt, zu was für Katastrophen Arhys’ jugendliche Begabung geführt? War es ein falscher Trost oder stimmte es tatsächlich, wenn sie Arhys gegenüber andeutete, dass Arvol ihn zur eigenen Sicherheit fern gehalten hatte? Sie unterdrückte ein Schnauben. »Es wäre trotzdem zu spät gewesen.«
Arhys blickte sie blinzelnd an und verstand die Andeutung nicht. Illvin aber ließ ein schmerzliches Lachen hören. »Wenn Ihr Euch schon verpasste Gelegenheiten ausmalt, dann stellt Euch doch vor, Ihr hättet ihn getroffen, bevor Ihr Ias geheiratet habt«, empfahl er und warf ihr einen merkwürdigen Blick zu. »Für mich führen alle verpassten Gelegenheiten zum selben Ergebnis.«
Der Wagen hüpfte und schaukelte, während er um eine Straßenkehre bog. Ista spähte hinaus und stellte fest, dass sie das ummauerte Dorf wieder erreicht hatten. Sie hielten ein weiteres Mal am Olivenhain, um die Pferde zu tränken. Die Sonne hatte inzwischen den höchsten Stand erreicht, und es war sehr heiß geworden.
Ista kletterte für einen Augenblick hinaus, streckte die Beine, die immer besser heilten, und besorgte sich etwas zu trinken. Liss führte immer noch Lord Illvins weißes Pferd hinter sich her und tränkte es am Fluss. Illvin schaute ihm sehnsüchtig nach und verschwand dann unvermittelt im Wagen. Stimmen drangen unter der Plane hervor – ein Streit zwischen Illvin, Goram und dem Diener. Kurz darauf kam Illvin wieder zum Vorschein und grinste zufrieden. Er trug Gorams Lederhosen unter seinem leichten Leinengewand und die Stiefel des Dieners an den Füßen. Die Hose wurde nur vom Gürtel an der Taille gehalten und reichte ihm kaum bis zu den Waden, doch die Stiefel schlossen die Lücke.
Illvin forderte sein Pferd zurück und grinste immer noch, als er aufstieg. In seinem Gesicht stand deutlich die Freude über einen Körper zu lesen, der wieder auf eigenen Beinen stehen und sich nach Belieben durch das helle Tageslicht bewegen konnte. Eine Freude, die vielleicht umso intensiver war, weil es sich um einen gestohlenen Augenblick von unbestimmter Dauer handelte.
Mit Liss’ Hilfe verlängerte er die Steigbügel, bedankte sich, ließ sich im Sattel nieder und grüßte Ista fröhlich.
Erleichtert stellte Ista fest, dass Goram eine
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