Palast der blauen Delphine
keiner von ihnen war bereit, die Heimat zu verlassen.«
»Vielleicht tun sie das später noch«, sagte Asterios mit leiser Besorgnis.
Der feindliche Block in seinem Rücken hatte sich inzwischen verlaufen, aber die Stimmung war kaum freundlicher geworden. Die meisten begnügten sich damit, stumm die Habseligkeiten der Fremden anzustaunen. Wenigstens weinten unweit von ihm zwei Männer vor Wiedersehensfreude. Ihr Bild machte Asterios Mut. Die Ankunft der Flüchtlinge brachte viele Probleme. Aber wenn alle gemeinsam an einer Lösung arbeiteten, mußte ihre Integration rasch gelingen. Fürs erste bat er Nephele und Naïs, die Leute zur Agora zu bringen. An ihrer Ostseite erhoben sich zwei dreistöckige Steinhäuser, solide gebaut, sauber gefegt, die leerstanden, seitdem die größeren Kornkammern am Stadtrand ihre Funktion übernommen hatten. Dort konnten sie unterkommen, bis er wieder aus Knossos zurück war.
»Du kannst mein Pferd nehmen«, bot Iassos an. »Nach Minos’ Rappen das schönste auf der ganzen Insel.« Er warf sich in die Brust. »Nur, damit es schneller geht«, setzte er hastig hinzu.
»Wo finde ich es?« Sollten die anderen nur über Iassos spotten, er mochte ihn und erkannte sehr wohl seine noblen Seiten. »Danke«, setzte Asterios leise hinzu.
Iassos brummte vor sich hin, wie immer, wenn er gerührt war. »Drüben, vor meinem Häuschen«, antwortete er deutlicher. »Ramos wird dich führen.« Er zischte seine Anweisungen einem kräftigen Mann mit dunkler Haut zu.
Das Häuschen erwies sich bei näherem Hinsehen als stattlicher Bau, an den ein strohgedeckter Stall grenzte. Als Ramos den Braunen herausholte, sah Asterios im Hintergrund mindestens drei weitere Pferde. Der junge Ägypter lachte amüsiert, als er seine Überraschung bemerkte. Niemals zuvor hatte der Händler das Anwesen in Amnyssos auch nur mit einer Andeutung erwähnt. »Ich gebe es auf, Iassos hinter die Schliche zu kommen«, seufzte Asterios beim Aufsteigen. »Das wird wohl niemandem je gelingen!«
Auf seinem Weg nach Süden überholte er den Zug der Flüchtlinge. Ein paar Kinder weinten; die Erwachsenen schleppten mit ernsten Gesichtern ihre Bündel und Säcke. Wie ein langer, bunter Wurm schob sich der Menschenstrom auf die Agora zu.
Es sind wirklich viele, dachte Asterios, und war einen Augenblick froh, daß nicht alle gekommen waren. Dann aber schob sich warnend das Bild des schwarzen Berges davor, und er schämte sich. Vergib mir, große Mutter, dachte er. Wir müssen sie retten und ihnen helfen. Du erwartest zu Recht, daß wir das tun.
Pasiphaë, nach einer fiebrigen Erkältung noch blaß und angegriffen, nahm die Nachricht übellaunig auf. Selbstverständlich hatte Asterios ihr sofort nach seiner Rückkehr aus Strongyle von den Schäden berichtet, die der Vulkanausbruch dort angerichtet hatte. Und er hatte ihr auch von seinen schrecklichen Visionen erzählt. Schon damals hatte sie merkwürdig reagiert, so unwillig, wie sie es immer tat, wenn er über sein Zweites Gesicht sprach. War sie etwa ungehalten, daß er die Gabe besaß und sie nicht? Jedesmal, wenn sie darauf kamen, konnte er spüren, wie sie sich feindselig verschloß.
Allerdings wußte er, daß die Weisen Frauen sich ausführlich über Strongyle beraten hatten, wenn auch nur aus zweiter Hand. Noch immer erhielt der Priester der Göttin nicht ohne weiteres Zutritt zu ihren Versammlungen. Keine hatte jemals direkt gesagt, daß er überflüssig sei. Dennoch fühlte Asterios, daß er in ihren Augen ein Außenseiter war, trotz aller Bemühungen Pasiphaës und Mirthos im Kreis der Frauen eher geduldet als erwünscht. Sie hatten ihn geweiht. Er war der Lilienprinz, der sie erretten sollte. Aber bestimmen, auf welche Weise und wann das zu geschehen habe, wollten ausschließlich sie.
Pasiphaë, umgeben von Jesa, Eudore und Mirtho, hatte ihn dieses Mal nicht im Megaron empfangen, sondern in der Halle der Doppeläxte. Opalgrau kroch die Abenddämmerung in die Fensteröffnungen, und der Raum war düster. Kein Feuer brannte. Es war kalt. Asterios mochte diese Säle nicht, in denen jeder verloren wie ein Bittsteller wirkte. Wahrscheinlich hatte sie ihn deswegen dorthin bestellt. Pasiphaë, Meisterin des Taktierens, tat niemals etwas ohne Grund.
»Wie viele sind es, sagst du?« Schon an der Art, wie sie beim Fragen ihre Nasenflügel anlegte, erkannte er ihre Verfassung. Sie schien nur auf einen Anlaß zu warten, um aus der Haut zu fahren.
»Etwa dreihundert«,
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