Palast der blauen Delphine
hatte genug von ihnen!
»Wenn ihr den Flüchtlingen das heilige Gastrecht verweigert, so wird sich Platz für sie in den Palästen und auf den Ländereien der Königin finden. Pasiphaë hat kein Herz aus Stein wie ihr!«
Er überließ die Menge sich selbst und ging nach vorn zum Kai, wo die ersten Boote inzwischen angelegt hatten. Zunächst sah er kein bekanntes Gesicht, bis er schließlich die Priesterin Nephele entdeckte.
»Da ist ja eine der heiligen Frauen, die immer Safran bei mir kauft«, schrie Iassos, der ihm gefolgt war. »Und dort hinten ist noch eine weitere.« Er deutete zum nächsten Boot, wo Naïs einem gebrechlichen Mann beim Aussteigen behilflich war.
Auf den ersten Blick hatte Asterios geglaubt, daß vor allem Alte, Kranke und Kinder in den Booten saßen. Beim näheren Hinsehen waren aber auch viele junge Frauen und Männer darunter, die nicht von kretischen Almosen abhängig sein würden. »Sieh nur«, sagte er halblaut zu Iassos, »wieviele kräftige Arme auf Kreta gelandet sind!«
»Meinst du, es sind auch ein paar Färber darunter?« Iassos spitzte seine Lippen. »Du mußt lange reisen, um jemanden zu finden, der besser mit Indigo und dem Saft der Kermesbeeren umgehen kann, als die Leute von Akrotiri. Zwei von ihnen könnte ich bestimmt aufnehmen. Oder sagen wir drei«, setzte er schnell hinzu. »Möglicherweise sogar vier.«
Asterios lief den beiden Frauen entgegen und umarmte sie. »Daß ihr doch noch gekommen seid! Ich bin so froh, daß ihr euch habt überzeugen lassen. Wo sind die anderen? Kommen sie später nach?«
»Nein, und auch wir reisen baldmöglichst wieder ab«, erwiderte Nephele nach kleinem Räuspern. »Spätestens, wenn die schlimmsten Winterstürme vorüber sind. Und alle Familien eine sichere Bleibe gefunden haben.«
»Weshalb?« fragte Asterios.
»Das soll nicht heißen, daß wir dir mißtrauen, Asterios«, sagte sie rasch. »Im Kreis der Weisen Frauen haben wir oft über deine Visionen gesprochen. Viele von uns zweifeln nicht mehr, daß Strongyle tatsächlich große Gefahr droht. Aber einige glauben, daß die Göttin uns zürnt und wir sie versöhnen müssen. Im Heiligtum gehen die Opferkerzen nicht mehr aus, und Tag und Nacht steigen unsere Gebete zu Ihr empor. Deswegen müssen wir so schnell wie möglich zurück.«
»Wieso seid ihr dann überhaupt gekommen?«
»Es war ein schwieriger Sommer für Strongyle«, erwiderte Naïs. »Glutheiß, kaum Wind, kein Tropfen Regen. Das Gras verdörrte auf den Wiesen, und das Korn war viel zu früh reif. Viele Brunnen sind versiegt. Es war, als ob die glühende Hand des Todes sich bereits nach uns ausgestreckt hätte.«
»Ständig kam es zu Schlägereien in den Tavernen«, fiel Nephele ein. »Jeden Tag wurde heftiger darüber diskutiert, ob du die Wahrheit gesagt hast oder ein Scharlatan bist. Lange hofften alle, du hättest dich getäuscht. Auch diejenigen, denen deine Worte angst gemacht hatten. Du mußt die Leute verstehen«, sagte sie bittend, »nicht alle in der Kolonie haben nur gute Erfahrungen mit der Mutterinsel.«
»Aber der Sommer verging, und die heiligen Tiere blieben aus«, sagte Asterios langsam. »Die Delphine kehrten nicht zurück. Was geschah dann?«
»Einzelne Familien entschlossen sich zum Aufbruch«, antwortete Nephele. »Nicht allzu viele, aber mehr, als wir gedacht hatten. Deine mahnenden Worte trugen Früchte.« Sie deutete auf die Flüchtlinge. Der Pier war immer voller geworden, und am Ufer entlang stauten sich die Menschen mit ihren Kisten und Bündeln. »Als feststand, daß sie wirklich segeln würden, hat Demonike zwei von uns bestimmt, die sie begleiten sollten«, fuhr sie fort. »Naïs und mich. Sie hat uns gebeten, Pasiphaë das Schicksal dieser Menschen ans Herz zu legen. Wir sind uns bewußt, daß ihr mit den Flüchtlingen sicherlich auch eine Menge Schwierigkeiten bekommt. Aber schließlich hast du sie ja aufgefordert, zu kommen.«
»Ja, das habe ich«, sagte Asterios. »Und ich stehe zu meinem Wort.«
»Wir wollen gern dazu beitragen, daß sie sich schnell eingliedern. Ist unsere Aufgabe erfüllt, kehren wir zu den anderen Schwestern der Einen Mutter zurück.« Sie lächelte, und Naïs strahlte. »Auch wir beide bleiben im Heiligtum der Göttin. So lange wir leben.«
Iassos hatte die Priesterinnen während ihrer langen Rede mit unverhohlener Neugierde angestarrt. »Und die anderen?« wollte er wissen. »Die, die auf Strongyle zurückgeblieben sind?«
»Wir haben alles versucht, aber
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