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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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trächtige Kuh hatte sie dabei ausgesehen. Er hätte sie schlagen können.
    Er saß ab, band sein Pferd an einen Busch und stellte beim Näherkommen fest, daß die Arbeiten nach seinen Vorgaben ausgeführt waren. Sein bitteres Lachen vermischte sich mit dem Gezeter der Möwen in der Brandung. Weit war es mit ihm gekommen! Begonnen hatte er einst als Athenais berühmtester Baumeister und Erfinder, um sich später unter die kretischen Schmiede und Erzschmelzer einzureihen. Aber das war noch längst nicht alles. Heute ließ er in Minos’ Auftrag Strände umgraben und Hügel begradigen, damit genügend Zuschauer miterleben konnten, wie seine jüngste Tochter sich irgendeinem Tänzer hingab!
    Der Kies knirschte unter seinen Füßen und grub sich in seine Sandalen. Wütend löste er die Riemen und ging barfuß weiter. Er mußte noch das Gestell begutachten, in das die junge Priesterin eingespannt werden würde.
    Von ihm, dem Fremden, hatte Minos eine Neuerung verlangt. Zuerst hatte er an einen Rahmen aus Hartholz gedacht, der jedoch zu starr gewesen wäre. Auch Räder hatte er als zu instabil verworfen. Die Konstruktion mußte fest und biegsam zugleich sein, Halt geben und dennoch genügend Bewegungsfreiheit lassen. Die rechte Lösung hatte wie immer ihre Zeit gebraucht. Daidalos betastete den Rahmen aus Korbgeflecht, auf den am Festabend noch das Fell gespannt werden würde. Die Weidenruten hatten nichts von ihrer Biegsamkeit verloren. Auch die Lederriemen für Handgelenke und Fesseln waren noch funktionstüchtig. Sie konnten je nach Bedarf mit kleinen Metallspangen reguliert werden, denn jede der Himmelskühe besaß andere Maße.
    Wieder verzog er verächtlich seinen Mund. Jede von ihnen reagierte anders. Er fand sie alle gleich widerlich. Beim letzten Mal war das junge Mädchen ohne Vorwarnung in eine Art heilige Raserei verfallen, nachdem der Tänzer sie genommen hatte. Die ganze Zeremonie über war ihr Gesicht angespannt gewesen, und selbst die schrillen Schreie der herumtanzenden Frauen hatten die Furcht aus ihren Zügen nicht vertreiben können. Angst-, nicht Lustschweiß schimmerte auf ihrem kindlichen Leib. Warum man ausgerechnet sie ausgesucht hatte, war ihm bis heute ein Rätsel geblieben. Unter der gescheckten Haut und dem seltsamen Aufsatz, der die Ohren der Kuh symbolisierte, hatte sie von Anfang an wie ein eingeschüchtertes Kälbchen gewirkt. Da war Pasiphaë schon eine andere Himmelskuh gewesen!
    Als wäre es erst gestern gewesen, hatte er noch ihr lusttrunkenes Gesicht vor sich und ihren schmiegsamen Körper, der unter dem Fell aufblitzte. Sie hatte die laute, rhythmische Anfeuerung der Frauen nicht gebraucht. Ihre Schreie, ihr Stöhnen und brünstiges Aufbäumen hatten die anderen erst richtig erregt und zu immer hemmungsloseren Bewegungen angespornt. Der ganze Platz dampfte vor Begierde. Es hatte nicht viel gefehlt, und die Pilgerinnen hätten gar nicht erst das Ende der Zeremonie abgewartet, sondern sich sogleich auf dem Kies mit den Männern gepaart.
    Und noch eines konnte er bis heute nicht vergessen: die Miene Minos’, der fassungslos ihrem Treiben zugesehen hatte. Sein Mund ein strenger, verzweifelter Strich, die brennenden Augen weit aufgerissen. Kein Mensch konnte Daidalos glauben machen, daß so der König reagiert, wenn er die Hohepriesterin bei einem ihrer Rituale beobachtet. Er wußte, was er gesehen hatte, hatte ähnliches am eigenen Leibe erleben müssen, bei Naukrate, seiner Frau, und Kalos, seinem Neffen. Er erkannte es sofort an Minos wieder. Das waren Mimik und Gesten eines gehörnten Gatten!
    Ob Pasiphaë in jener Nacht schon etwas von der Eifersucht und den Rachegelüsten geahnt hatte, die Minos wenig später trieben? Wie eine Wahnsinnige hatte sie sich benommen. Binnen kurzem hatte sie sich aus dem scheckigen Fell geschält und es wie eine Last abgeschüttelt; die Lederriemen voller Ungeduld einfach aus dem Korbgestell gerissen. Daidalos wußte es so genau, weil man ihn anschließend verpflichtet hatte, sie ebendort wieder zu befestigen. Auf dem Kies hatte sie es öffentlich mit dem getrieben, der, so klatschten die Mäuler am Hof, schon lange ihr heimlicher Geliebter war. Dann, ganz plötzlich, war seine Maske verrutscht. Ein paar erschreckte Schreie, sogar das Schlagen der Trommel hatte ausgesetzt. Aber er blieb unerkannt. Mit der rechten Hand schob er seinen Schutz wieder zurecht und setzte die Begattung Pasiphaës unbeirrt fort. Es sah aus, als sei er mit ihr zu einem einzigen

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