Palast der blauen Delphine
Leib verschmolzen. Einige berichteten, sie hätten die Königin und ihn noch im Morgengrauen ineinander verschlungen am Strand gesehen, als könnten sie nicht mehr voneinander lassen.
Als letztes kontrollierte Daidalos die Pfosten. Wegen des harten Untergrunds konnten sie nicht einfach in den Boden gerammt werden. Er hatte angeordnet, kleine Gruben auszuheben. An der frischen Erde und dem sorgfältig darüber gebreiteten Kiesbett erkannte er, daß seine Anweisungen befolgt worden waren. Er versuchte, die hölzernen Stäbe zu bewegen; sie gaben nicht nach. Er glaubte nicht, daß es der zartgliedrigen Phaidra gelingen würde, sie aus dieser soliden Verankerung zu reißen. Ohnehin fiel es ihm schwer, sich die junge, keusche Priesterin an diesem Platz vorzustellen. Nackt unter dem schweren Fell.
Würde sie den Stier ängstlich erwarten? Oder ihn begierig in sich aufnehmen? Er schüttelte verdrießlich den Kopf und ging zu seinem Pferd zurück. Pasiphaës Jüngste paßte in keine dieser Vorstellungen. Am ehesten konnte er sich noch eine Art frommer Ergebenheit denken, bei der ihr ernstes Gesicht wie von innen erglühte.
Aber wer will schon die Frauen kennen, dachte Daidalos beim Zurückreiten. Und die dunklen Abgründe, die hinter ihren freundlichen Mienen lauern! Für einen Augenblick war er versucht, noch einmal bei der Rothaarigen vorbeizureiten. Dann aber entschied er sich dafür, sofort in das Gasthaus zurückzukehren. Sein Magen revoltierte, wie immer, wenn er aus seiner gewohnten Ordnung herausgerissen war. Er würde versuchen, ihn mit Geflügel und frischem Gemüse zu besänftigen. Die Köchin schien besser zu sein, als es ihr schlampiges Kleid zunächst hatte vermuten lassen.
Er beschloß, sich einen angenehmen Abend zu machen. Vorsorglich hatte er Papier und Kohlestifte eingesteckt. Seit kurzem verspürte er wieder Lust, sich mit seinen Flugstudien zu beschäftigen. In letzter Zeit war er noch vorsichtiger dabei geworden. Nur Ikaros wußte aus ein paar Andeutungen, woran er arbeitete. In seinem Kopf aber war die Liste der Materialien für seinen Flugapparat inzwischen nahezu komplett: ölgetränktes, festes Papier, gewässerte Bastfäden, Darmsaiten, Bronze, in der Glut zu dünnem Blech ausgehämmert.
Beim Absteigen fiel ihm schlagartig das Korbgeflecht ein. Natürlich – das war es! Weidenruten, zu einem Gestell gebogen und mit Papier ausgekleidet. Vor Aufregung konnte er kaum noch schlucken. Er strahlte, als er hinauf in sein Zimmer stieg und beim Vorbeigehen das Abendessen in der Küche bestellte. Nicht schlecht, mein Alter, sagte er zu sich selbst. Erst die Entdeckung mit den Eisenspitzen und jetzt die Sache mit den Weidenruten. Wirklich gar nicht übel!
Bei den ersteren hatte ihn Wut auf die richtige Spur geführt, jetzt war es Gelassenheit gewesen, die ihm den Weg gewiesen hatte. Zornentbrannt hatte er vor einigen Monaten frischgeschmiedete Eisenplatten vor seinen Werkstätten eingraben lassen. Er war nicht in der Lage gewesen, die Zeugnisse seines Scheiterns weiterhin um sich zu haben. Prompt hatte er sie vergessen. Sie waren ihm erst wieder in den Sinn gekommen, als es galt, die Sachen für Phaistos zu packen. Am Abend, bevor die Werkstätten geschlossen wurden, überfiel ihn ein unerklärlicher Drang. Er mußte unbedingt nachsehen. Obwohl es schon dunkel war, holte er mit eigenen Händen eine der Platten aus der Erde und schmiedete sie nochmals über dem Feuer. Sie brach nicht. Sie splitterte nicht.
Unter seinen geschickten Handgriffen formte sich eine kleine Pfeilspitze. Er konnte kaum abwarten, bis sie ausgekühlt war. Dann steckte er sie auf einen hölzernen Pfeilschaft. Er war kein sicherer Schütze, aber für seine Bedürfnisse würde es ausreichen. Er legte an. Zielte. Der Pfeil bohrte sich in die Holztür. Und blieb stecken.
Wilder Triumph erfüllte ihn. Das war der Durchbruch – reines Eisen, hart und geschmeidig zugleich!
Er war froh, daß seine Männer schon vor Stunden nach Hause gegangen waren. Niemand würde von seinem Erfolg erfahren – auch Minos nicht. Mit dem neuen Verfahren besaß er ein Faustpfand, das geschickt eingesetzt werden mußte. Die Zeit war auf seiner Seite.
Seitdem Asterios die lederne Stiermaske trug, kamen die Bilder öfter und leuchtender als je zuvor. Er hatte sich verändert, seitdem er als Hüter des Labyrinths der Großen Mutter ganz nah war. Und seine Visionen sich mit ihm. War er die ersten Male noch zögernd in Ihren Leib eingedrungen, so hatte er
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