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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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wenigsten liebte! Das mußte Pasiphaë wie ein Schlag treffen.
    Allerdings wußte Theseus noch nichts von dem Kind, und sie war nicht sicher, wie er die Nachricht aufnehmen würde. Er war in schwieriger Verfassung, verdrossen und noch unbeherrschter als gewöhnlich. Seitdem er mit den anderen Mysten nach Phaistos gekommen war, hatte sie bislang kaum eine Gelegenheit gehabt, ihn allein zu sehen. Der Stiersprung lag hinter ihnen, und sie hatten bereits mit den Vorübungen zum Kranichtanz begonnen. Wäre das Fest der Heiligen Hochzeit nicht gewesen, hätten sie den Palast der blauen Delphine sicher nicht verlassen.
    Die Priesterin Hemera, die sie als Meropes Nachfolgerin unterrichtete, war gewohnt, mit fester Hand zu führen. Den Mädchen gegenüber zeigte sie gelegentlich freundliche Nachsicht; bei den jungen Männern aber wurde ihr Ton schnell gereizt. Alle strengten sich an. Keiner hatte Lust, sich öffentlich von ihr maßregeln zu lassen. Die Mysten bissen die Zähne zusammen und versuchten, die geforderten Leistungen zu erbringen. Selbst die einstigen Rebellen waren ungewöhnlich strebsam – bis auf Theseus.
    Hatte Aiakos es noch verstanden, ihm den Stiersprung schmackhaft zu machen, war er jetzt mit einer Frau konfrontiert, die Frauen vorzog. Schon allein deswegen war Theseus widerspenstig und weigerte sich, die Tanzfiguren zu lernen, für ihn Symbol all der Dinge, die er auf Kreta am meisten verabscheute. Die ständigen Ermahnungen Hemeras trieben ihn immer weiter in die Opposition. Nur unter Androhung von Strafen bewegte er sich überhaupt noch, stolzierte ungelenk umher und machte alberne Grimassen, die auch die anderen um die Konzentration brachten. Sprach die Lehrerin über Sinn und Ursprung der ewigen Spirale, starrte er vor sich hin oder brüllte vor Lachen. Am allermeisten aber haßte er es, wenn sie über das Labyrinth redete.
    Bei einem ihrer kurzen, atemlosen Zusammentreffen hatte er Ariadne empört davon erzählt. Sie hatten sich im Südflügel verabredet, der stickig und daher wenig benutzt war. Ariadne wischte den Staub von dem Bettgestell und versuchte, es sich einigermaßen bequem zu machen. Übelkeit fraß sich in sie; sie wartete sehnsüchtig, daß sie endlich wieder vergehen würde. Theseus schien nichts davon zu bemerken.
    »Erst wie ein wildgewordenes Huhn auf dem Tanzplatz Ringelreihen drehen! Anschließend den Leib der Erde betreten – wie sich das schon anhört! Wozu soll das gut sein, allein im Dunklen herumzukriechen?«
    Er lief aufgeregt hin und her, und Ariadne wurde allein beim Zusehen schon schwummerig. »Komm her zu mir«, bat sie.
    Für ein paar Momente blieb er neben ihr. Kaum aber hatte sie zu sprechen begonnen, war er schon wieder auf den Beinen. Ariadne verlor langsam die Geduld. »Was soll denn dieses Lamentieren?« sagte sie aggressiv. »Der Kranichtanz, das Labyrinth – das sind nichts als Stufen der Einweihung. Schließlich haben wir sie alle durchlaufen. Jeder einzelne von uns.«
    »Heißt das, daß alle hinunter müssen?« In diesem heißen, staubigen Zimmer kam sie Theseus so fremd vor wie zu Anfang. Sie ist eben doch eine von ihnen, dachte er abschätzig. Eine Kreterin, die ihrem Aberglauben huldigt. Ihre Worte hatten ihn aufgeschreckt – und noch neugieriger gemacht. Er spürte, wie seine Angst wuchs. Nicht einmal Ariadne gegenüber hätte er jemals zugegeben, daß ihn allein der Gedanke an dieses dunkle Loch im Bauch der Erde erschaudern ließ.
    »Hirten und Fischer natürlich nicht«, sagte sie in dem leicht dozierendem Ton, den er so haßte. Sie wußte, daß nichts ihn schneller aufbringen konnte. Sie hatte Lust, ihn zu provozieren. »Aber wer auf Kreta zu den Auserwählten gehört, muß ›hinunter‹, wie du so schön sagst. Und wieder hinauf ans Licht.«
    »Was passiert dort?« Er schien kaum noch Luft zu bekommen. Ariadne musterte ihn erstaunt. »Was sagen denn deine Lehrerinnen darüber?«
    »Meinst du damit vielleicht diese alte Meckerziege? Ich höre nie zu, wenn sie uns vorlügt; ich will es von dir wissen!« Er packte ihren Arm. »Oder traust du dich nicht?«
    »Ich mag es nicht, wenn du so grob bist!« Ariadne riß sich los und versuchte, sein anzügliches Grinsen zu übersehen. Am liebsten wäre sie aufgestanden und zurück in ihr luftiges Zimmer gegangen. Sie war nicht nur ärgerlich über ihn, sondern auch über sich selbst, weil sie wieder die Gelegenheit vertan hatte, ihm von der Schwangerschaft zu erzählen. »Das Labyrinth ist für jeden

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