Palast der sinnlichen Traeume
Sand und Steinen wahrgenommen. Aber vom Gipfel des Berges aus war die wahre Schönheit des Landes zu erkennen. Zerklüftete Felsen und bizarr geformte Bäume bildeten einen reizvollen Kontrast. Biryal ist nicht schön im herkömmlichen Sinn, entschied Lucy. Stattdessen besaß die wilde raue Landschaft ihren ganz eigenen, durchaus ein wenig Angst einflößenden Charme.
Das hier war Khaleds Land, sein Zuhause. Es versetzte ihr einen Stich zu erkennen, wie wenig sie eigentlich über ihn wusste. Für sie war Khaled immer nur Khaled gewesen, der aufsteigende Star an Englands Rugbyhimmel.
Mit einem traurigen Seufzen wandte sie sich vom Fenster ab. Auf einmal fühlte sie sich zutiefst verunsichert. Sie wollte nicht an die Vergangenheit erinnert werden, wollte die gemeinsame Zeit mit Khaled nicht wieder lebendig werden lassen. Je länger sie allerdings hier war, desto unmöglicher erschien ihr dieses Vorhaben.
Sie konnte wohl kaum erwarten, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen, ohne an damals zu denken. Wie Glasscherben blitzten die Erinnerungen in ihrem Kopf auf, wunderschön und schmerzhaft zugleich.
Dass er sich ihr gegenüber so gleichgültig verhalten hatte, löste neue Schmerzen aus. War denn ein kleines Hallo zu viel verlangt? Was – diese Frage musste sie nun stellen – hatte sie eigentlich erwartet?
Wir waren nur ein paar Monate zusammen, ermahnte sie sich. Nur ein paar wundervolle, unglaubliche Monate.
Vier Jahre später bedeutete ihm diese Zeit überhaupt nichts mehr. Und ihr sollte sie auch nicht mehr wichtig sein.
Lucy schüttelte den Kopf und schob die trostlosen Gedanken beiseite. Sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen, und allein darauf musste sie sich konzentrieren. Zunächst jedoch beschloss sie, zu Hause in London anzurufen.
„Lucy, du hörst dich müde an“, sagte ihre Mutter, nachdem Lucy endlich herausgefunden hatte, wie das Telefon in ihrem Zimmer funktionierte.
„Es war ein langer Flug.“
„Eines darfst du nie vergessen“, schärfte Dana Banks ihrer Tochter ein, „du bist eine starke Frau. Verlier dein Ziel nicht aus den Augen.“
„Nein.“ Lucy lächelte. Die eindringlichen Worte ihrer Mutter heiterten sie augenblicklich auf. Dana Banks hatte in ihrem Leben viel durchgemacht und ihre Tochter gelehrt, stark zu sein. „Wie geht es Sam?“
„Ihm geht es gut“, versicherte Dana. „Heute Morgen sind wir in den Zoo gegangen und haben Eis gegessen. Auf dem Rückweg ist er im Auto eingeschlafen. Jetzt hat er seinen Sack mit Legosteinen ausgekippt und baut hingebungsvoll an einem bunten Etwas.“
Wieder musste sie lächeln. Vor ihrem geistigen Auge tauchte das Bild von dem Kleinen auf, wie er ganz versunken mit den eckigen Klötzchen spielte.
„Möchtest du mit ihm sprechen?“
„Nur kurz.“ Lucy wartete. Wenige Sekunden später drang eine helle Jungenstimme aus dem Hörer.
„Mummy?“
„Hallo, mein Schatz. Bist du ein braver Junge?“
„Natürlich“, erwiderte Sam empört, woraufhin Lucy laut lachen musste.
„Natürlich bist du das“, stimmte sie zu. „Aber das bedeutet auch, dass du dein Gemüse aufisst und zu Bett gehst, wenn Granny es sagt.“
„Ich will aber eine extra lange Gutenachtgeschichte.“
„Wenn Granny Ja sagt, ist es okay.“ Natürlich würde ihre Mutter ihm länger vorlesen als sie – Dana vergötterte ihren Enkelsohn. Auf einmal verspürte Lucy einen Kloß im Hals. Nein, befahl sie sich. Sie würde jetzt nicht anfangen zu weinen. „Ich hab dich lieb“, sagte sie.
„Ich dich auch, Mummy“, erwiderte Sam pflichtbewusst.
Nach einem weiteren kurzen Gespräch mit ihrer Mutter legte Lucy den Hörer auf. Draußen ging allmählich die Sonne unter. Ein glutroter Ball tauchte Biryals karge Landschaft in ein warmes Licht. Sams Stimme noch in den Ohren wurde sie auf einmal von unsagbarem Heimweh erfasst. Sam.
Nur aus einem einzigen Grund war sie nach Biryal gekommen. Um Khaled zu sagen, dass er einen Sohn hatte.
2. KAPITEL
In den nächsten Stunden war Lucy zu beschäftigt, um an Khaled und das Gespräch zu denken, das sie mit ihm führen wollte. Sie musste die Spieler besuchen, sich um Verletzungen und Verspannungen kümmern und dafür sorgen, dass sie für das Spiel morgen fit waren.
Das Spiel gegen Biryal war nur ein Freundschaftsspiel und praktisch ohne Bedeutung. Und da in wenigen Wochen das Six Nations Turnier beginnen würde, gingen Sicherheit und Gesundheit der Spieler vor.
Der obere Teil des Palastes kam ihr wie eine endlose Folge nur
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