Palast der Stuerme
Liebesromanen, nicht im echten Leben. Im Gegenteil, wüsste er es, so würde er sehr genau darauf achten, ihr aus dem Weg zu gehen. Er wollte nur seine eigenen Bedürfnisse befriedigen, und eine Jungfrau war da wenig nützlich.
Dennoch fragte sie sich, was passiert wäre, hätte Saud nicht angefangen zu weinen, und bei den Bildern, die sie sich in ihrer Fantasie ausmalte, sammelte sich wohlige Wärme in ihrem Schoß.
Wenn sie auch nur einen Funken Verstand hatte, würde sie von jetzt an Distanz zu Raoul halten. Noch wusste nur sie, dass sie ihn liebte, doch sollte es dazu kommen, dass sie miteinander schliefen, dann würde auch er die Wahrheit erkennen. Das wäre einfach zu erniedrigend. Er empfand nichts für sie und würde auch nie etwas für sie empfinden. Sollte er sich je verlieben, dann mit Sicherheit in eine dunkle Schönheit mit großen Rehaugen, so wie Zenaide. Nicht in eine Blondine, die nicht einmal auf einem Diwan sitzen konnte, ohne einen Wadenkrampf zu bekommen!
„Da ist Besuch für die Sitt. “ Zenaide kam ins Zimmer geeilt, ihre Augen strahlten vor Aufregung.
Raoul war jetzt seit zwei Tagen fort, und erstaunlicherweise hatte Claire sich keine Minute gelangweilt, noch fühlte sie sich verlassen. Heute Morgen war sie mit Saud an den Strand gegangen – sehr zu Zenaides Unmut –, aber die kleine Bucht konnte nur vom Palast aus erreicht werden, und so hatte Claire beschlossen, dass es wohl privat genug sei. Saud hatte die Zeit genossen.
„Besuch? Aber ich kenne doch niemanden“, wunderte sich Claire. Dann fiel ihr wieder ein, dass Raoul davon gesprochen hatte, man werde der Braut seine Aufwartung machen wollen.
„Die Mutter des Scheichs“, entgegnete Zenaide gewichtig. „Ali hat sie in den Salon geführt, der auf den Haupthof hinausgeht.“
Inzwischen hatte Claire festgestellt, dass mehrere Innenhöfe zum Palast gehörten, der schönste davon war der Haupthof mit seinen herrlichen Mosaiken und dem stillen Fischteich. Es war eine friedliche Oase, und Pfirsich- und Feigenbäume spendeten Schatten vor der brennenden Sonne. Claire brachte Saud gern her, wenn es zu heiß war, um an den Strand zu gehen, und zusammen beobachteten sie dann die schillernden Karpfen, die zwischen den Teichrosen schwammen.
Die Frau, die im Salon wartete, war in einen bodenlangen schwarzen Schleier gehüllt. Wache dunkle Augen sahen Claire entgegen, als sie den großen Raum betrat.
„So, du bist also Raouls Frau.“ Die alte Dame entfernte den Gesichtsschleier, und Claire blickte in das ausdruckstärkste Antlitz, das sie je gesehen hatte. Die Mutter des Scheichs musste Glück und Unglück in ihrem Leben erfahren haben, es war in ihren Zügen zu lesen. Und instinktiv wusste Claire, dass hier keine fügsame und devote Moslemin vor ihr stand. Diese Frau strahlte Weisheit und Integrität aus, sie hatte große Freude und großen Kummer erlebt, dessen war Claire sicher.
„Raoul kann nicht glücklich sein über diese Heirat, zu der mein Sohn ihn gezwungen hat. Schon als Kind hat er sich mehr der arabischen als der westlichen Welt zugehörig gefühlt. Hätte man ihn frei wählen lassen, so hätte er seine Cousine zweiten Grades geheiratet. Dazu hätte er nur seine Religion ändern müssen. Aber Raoul war schon immer stolz – und stur.“
Sie lächelte und zeigte eine Reihe perfekter weißer Zähne. Wie alt sie war, konnte Claire nicht einmal schätzen. Ihr Gesicht hatte zeitlos ebenmäßige Züge, in ihrer Jugend musste sie eine Schönheit gewesen sein. Raoul war wie sie, und wie sie würde auch er im Alter zu einem distinguierten Herrn werden.
„Sein Vater hat seiner Mutter damals das Versprechen abgenommen, den Jungen in der christlichen Religion zu erziehen. Das war der Preis, den sie hat zahlen müssen, weil sie ihren Mann verließ. Und Raoul zahlt diesen Preis noch heute für sie.“
„Aber wenn Raoul seinen Vater und sein französisches Erbe so sehr verabscheut, warum ist er dann nicht konvertiert?“
„Vielleicht weil er um seiner selbst willen akzeptiert werden will“, sagte die alte Dame. „Zenobe wurde wieder im Hause ihres Vaters aufgenommen, aber man hat sie nie vergessen lassen, dass sie außerhalb ihres Glaubens und außerhalb ihrer Welt geheiratet hatte. Und für ein Kind ist es immer schwer, wenn ein Elternteil es zurückweist, obwohl in Luciens Fall …“
„Er hat Raouls Mutter gesagt, dass er sie nicht liebt.“
„Du weißt also davon? Lucien arbeitete hier, als sie sich kennenlernten. Ich
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