Palast der Stuerme
Schlange war fortgeräumt worden, doch Claire konnte nicht an der Stelle vorbeigehen, ohne vor Angst und Ekel zusammenzuzucken. Wenn sie Sauds Weinen nicht gehört hätte, wenn Raoul nicht heute zurückgekommen wäre …
Immer und immer wieder sah sie die Bilder vor sich, hörte sie das todbringende Zischeln, bis die pure Erschöpfung sie übermannte und der Schlaf sie endlich einhüllte.
8. KAPITEL
Albträume plagten Claire. Verschwommene Bilder vom Speisesaal im Londoner Hotel, Männer mit Waffen verwandelten sich in züngelnde Schlangen. Schweißgebadet wachte sie auf, ihr Herz pochte wie wild. Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten bei der Tür, und angstvoll schrie Claire auf.
„Wer ist da?“
„Ich bin’s nur.“ Raoul trat näher. „Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht erschrecken, aber du hast im Schlaf geschrien.“
„Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, kann ich die Schlange hören“, flüsterte sie bebend. „Und dann sehe ich wieder vor mir, was in London passiert ist.“ Ein Zittern durchfuhr sie, dann riss Claire erschreckt die Augen auf, als Raoul zu ihrem Bett kam und die Bettdecke zurückzog. „Was … was machst du da?“
Als er ihr bleiches Gesicht musterte, meinte sie, zum allerersten Mal ein entschlossenes, amüsiertes Glitzern in seinen Augen zu sehen.
„Nun, wenn du wegen deiner Albträume nicht schlafen kannst und ich nicht wegen deiner Schreie, können wir genauso gut das Beste aus dem Rest der Nacht machen.“ Er lag schon neben ihr, bevor Claire überhaupt Zeit hatte zu protestieren. Und eine verräterische kleine Stimme in ihrem Kopf flüsterte ihr zu, wie wunderbar sich seine Wärme an ihrer Seite anfühlte.
„Komm her.“ Als Raoul den Arm um sie legte und sie zu sich heranzog, überkam sie eine andere Art von Angst als die vor den fremden Attentätern. Doch die Nähe seines Körpers war zu verlockend, um widerstehen zu können. Sie wollte das hier, gestand Claire sich benommen ein, wollte die festen Muskeln unter ihren Fingerspitzen fühlen, wollte einen Schauer von Küssen auf seinen Hals, seine Schultern, seine Brust regnen lassen, bis sie fühlte, wie die Begierde in ihm erwachte. Sie sehnte sich nach dem Trost, den die gemeinsame Leidenschaft ihr bringen würde. Allein schon von ihm gehalten zu werden war eine süße Qual. Doch ihr letzter Gedanke galt der Erleichterung, die sie empfand, weil der Schlaf über sie kam und das Verlangen ausblendete.
Als Claire aufwachte, war es bereits Morgen. Raoul lag nicht mehr in ihrem Bett. Das eingedrückte Kissen, dort, wo sein Kopf gelegen hatte, war das einzige Zeichen seiner Anwesenheit. Sie legte ihre Wange darauf und atmete tief seinen Duft ein, der im Kissen haften geblieben war. Ein tiefes Sehnen erfasste ihren Körper, doch dann hörte sie Saud schreien und kam jäh in die Wirklichkeit zurück. Es war nicht auszuschließen, dass jemand den Plan aufgedeckt und die Wahrheit herausgefunden hatte, das waren gestern Nacht Raouls Worte gewesen.
Eine Welle der Übelkeit erfasste Claire, und hektisch eilte sie ins Bad. Sie hatte sich noch nie vor Angst übergeben müssen, stellte sie verwundert fest, als sie sich wenige Minuten später schwach und ermattet ans Waschbecken lehnte. Die Intensität dieses Gefühls erstaunte sie.
Claire hatte auch nicht die Energie, mit Saud zum Strand hinunterzugehen, und so sagte sie Zenaide Bescheid, dass sie heute mit dem Jungen im Haupthof bleiben würde.
„Dort ist es geschützt, und dennoch ist er an der frischen Luft“, erklärte sie dem Mädchen ausweichend.
Niemand darf erfahren, was heute Nacht geschehen ist, hatte Raoul gewarnt. Aber es war schwer, die Last allein zu tragen. Claire konnte einfach nicht glauben, dass die sanfte und fürsorgliche Zenaide mit dem nächtlichen Vorfall zu tun hatte, auch nicht Ali, der getreue Diener. Aber irgendjemand musste die Schlange ins Zimmer gebracht haben …
Bis Claire im Haupthof angekommen war, pochte es schmerzhaft hinter ihren Schläfen. Selbst Saud war heute nicht so lebhaft wie sonst. Er wollte auf ihrem Arm bleiben und sich an sie kuscheln, statt sich fröhlich mit seinen Spielzeugen zu beschäftigen.
Wie sollten sie nur für seine Sicherheit garantieren?
Claire ermahnte sich streng. Sie musste ihre Gedanken und Gefühle unter Kontrolle bekommen, sie musste sich zusammenreißen. Saud hatte ihre nervöse Anspannung bereits bemerkt und reagierte darauf. Vielleicht würde Raoul ja etwas herausfinden. Zenaide hatte ihr
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