Palast der Stuerme
sich, als sie die Glückwünsche zur Hochzeit las. Wenn Susan nur wüsste! Claire seufzte, und plötzlich erinnerte sie sich an Teddys noch unbeantworteten Brief. Wo hatte sie ihn nur hingelegt? Als sie zu Bett ging, nahm sie sich vor, gleich morgen früh den Brief zu suchen und Teddy zu schreiben.
Es war eine warme Nacht, viel zu warm. Claire wälzte sich ruhelos, selbst das dünne seidene Nachthemd schien noch zu heiß zu sein, und der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Wo mochte Raoul jetzt sein? Und mit wem war er zusammen?
Claire horchte auf, als Saud zu weinen begann. Normalerweise wachte er nachts nie auf, Claire lauschte mehrere Augenblicke auf sein Weinen, doch als er sich nicht beruhigte, schlug sie die Bettdecke zurück, warf den seidenen Morgenmantel über und eilte zu Sauds Zimmer.
Sauds Lieblingsbär lag auf dem Boden, das also musste der Grund für die Aufregung sein, wie Claire annahm. Saud hatte sie bemerkt und kam an das Gitter des Bettchens gekrabbelt. Claire hob den Bären auf und kniete sich vor Saud hin … und in diesem Moment hörte sie das Geräusch. Es war nicht mehr als ein leises Zischeln, doch dieser Ton ließ Claire vor Entsetzen erstarren. Saud lachte auf, er hielt es wohl für ein neues Spiel.
Es war so dunkel im Zimmer. Hätte sie doch nur Licht gemacht, als sie hereingekommen war! Voller Angst lauschte Claire erneut und hoffte, sie habe sich das Geräusch nur eingebildet … doch da, da war es wieder. Diesmal lauter, näher. Schweiß trat auf ihre Stirn. Großer Gott, irgendwo im Zimmer war eine Schlange!
Benommen versuchte Claire sich zu erinnern, was Zenaide ihr über die heimischen Schlangen erzählt hatte. Es gab mehrere Arten, eine besonders gefährliche. Aber wie sollte sie wissen, welche davon welche war? Sie konnte ja nichts sehen, und selbst wenn … In ihrer Angst würde sie wahrscheinlich nicht einmal eine Klapperschlange von einer Blindschleiche unterscheiden können.
Saud versuchte sich an den Gitterstäben auf die Füße zu ziehen, und Claire konnte wieder das Zischeln hören. Die Schlange war in seinem Bett, hatte sich in den Laken verfangen! Ein panischer Schrei arbeitete sich in Claires Kehle empor, doch sie unterdrückte ihn. Zitternd richtete sie sich langsam auf, ihr war eiskalt. Wenn die Schlange in seinem Bett war, konnten die Giftzähne jeden Moment zuschlagen …
Ohne noch weiter nachzudenken, riss Claire Saud aus dem Bettchen in ihre Arme und presste ihn an sich. Er musste ihre Angst spüren, denn er begann zu weinen. Das Zischeln war wieder zu hören, es klang lauter, aggressiver.
Das war zu viel für Claire. Sie schrie panisch los, Tränen strömten ihr aus den Augen. Die Zimmertür flog gegen die Wand, und das Deckenlicht flammte auf …
„Claire!“
Raouls Stimme holte sie zurück aus der Hysterie, und ihr Blick klärte sich. Sie sah Raoul dort stehen, in schwarzen Hosen, das weiße Hemd offen. Er musste gerade dabei gewesen sein, sich auszuziehen, also war er vor Kurzem nach Hause gekommen. Jetzt wollte er mit besorgter Miene auf sie zukommen.
„Nein, nicht, Raoul!“, hielt sie ihn auf. „Ich glaube, da ist eine Schlange in Sauds Bett!“ Sie blickte ängstlich auf das weiß-blaue Kinderbett, das sie in Paris gekauft hatten. Nie wieder würde sie es anschauen können, ohne daran zu denken. Sie schloss die Augen. „Ich hörte ihn weinen“, fuhr sie rau fort. „Deshalb kam ich her, und … dann hörte ich, wie sich etwas bewegte. Das Geräusch schien aus seinem Bett zu kommen.“ Sie war bleich und zitterte am ganzen Körper. „Nein, Raoul, nicht“, flehte sie, als er weiter ins Zimmer hineinkommen wollte. „Du könntest gebissen werden.“
„Dann komm du her zu mir.“ Er sprach zu ihr, wie man mit einem verängstigten Kind reden würde. Er glaubt mir nicht, dachte Claire elend, während sie den ersten Schritt machte, weg von dem Bett.
Die plötzliche Bewegung im Bett und das aggressive Zischeln ließen sie erstarren. Aus den weiß-blauen Laken richtete sich ein langer dunkler Körper auf, der sich abwartend in der Luft wiegte. Claire blickte wie hypnotisiert in die glitzernden Augen, nur wie aus weiter Ferne vernahm sie Raouls unterdrückten Fluch. Dann bewegte er sich blitzschnell, stieß Claire aus dem Weg, packte die Schlange mit einer Hand und schleuderte sie zu Boden. Mit seinem Schuh schlug er immer wieder auf das Reptil ein, bis es sich nicht mehr rührte.
„Es ist vorbei, Claire“, sagte er ruhig. „Ihr beide seid in
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