Palast der Stürme
Um sich für diesen Blick zu rächen, bewarf sie ihn mit einer schwarzen Olive und beobachtete, wie er die glänzende Frucht in der Luft auffing, bevor sie seine Uniform traf, und sie sich genüsslich in den Mund steckte.
Der Nachmittag, den alle sehr genossen, verstrich viel zu schnell. Ahmed verließ seine Gemächer, um den Frischvermählten ein wenig Zeit allein zu gönnen. Das war alles, was er für sie tun konnte, denn schon bald erwartete er Besuch. Roxane und Collier bedankten sich bei ihm, warteten, bis seine leisen Schritte auf dem Steinboden verklungen waren, und wandten sich dann einander zu. Eine Weile sahen sie sich schweigend an.
»Mrs Harrison«, sagte Collier schließlich und lächelte ein wenig schief. »Du bist jetzt eine verheiratete Frau.«
»Und du, Sir, bist ein verheirateter Mann«, erwiderte sie, während sich ein kleines Grübchen auf ihrer Wange zeigte. Sie schmiegte sich an ihn, und er strich ihr das Haar aus der Stirn. Roxane stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn auf den Mund. Der leise, tiefe Laut, den er von sich gab, ließ sie erschauern.
»Champagner ist nicht nötig«, flüsterte sie.
»Welch Schande«, erwiderte Collier zufrieden. »Deine Sinnlichkeit ist hinreißend, mein Liebling. Und in jeder gesellschaftlichen Abhandlung über den Verhaltenskodex von Frauen wird sie streng verurteilt. Hast du diese Schriften denn nicht gelesen?«
»Keine einzige«, gab Roxane fröhlich zu. »Eine meiner Lehrerinnen versuchte mich dazu zu überreden, ›The Women of England‹ von Sarah Stickney Ellis zu lesen, und das schien ich dann auch gehorsam jeden Tag zu tun. Allerdings schob ich jeden Morgen einige Seiten mit für mich interessanteren Themen hinein und las dann diese anstatt des Buchs.«
»Und man hat dich nie dabei erwischt?«
»Ich beherrschte das sehr gut«, antwortete sie. »Außerdem warf ich hin und wieder einen flüchtigen Blick hinein, um entsprechende Fragen beantworten zu können oder zu erklären, warum ich mit Ellis’ Ansichten nicht einverstanden war. Ich glaube, meine Lehrerin hat diese Diskussionen sogar genossen.«
»Da habe ich Glück gehabt«, murmelte er.
Sie lachte unbekümmert. Collier drückte seine Lippen auf ihre Stirn und ließ sie dann los.
»Wir haben jetzt keine Zeit für Vergnügungen. Ahmed wird in wenigen Minuten zurückkommen, und ich muss meine Pflichten erfüllen. Hier.« Er zog eine Goldkette aus seine Jackentasche und ließ sie langsam in ihre Handfläche gleiten.
»Wofür ist das?«, fragte sie.
»Für deinen Ehering«, erklärte er. »Bis du ihn in der Öffentlichkeit tragen kannst, möchtest du ihn vielleicht an deinem Herzen trage. Ich werde das auch mit meinem tun.«
»Oh.«
Sie war sehr froh, dass er – im Gegensatz zu ihr – daran gedacht hatte. Als sie jedoch ihre Hand hob und den schmalen Goldring an ihrem Finger betrachtete, brachte sie es nicht übers Herz, ihn abzunehmen. Collier schien ihre Gedanken gelesen zu haben. Er streifte ihr den Ring ab und zog die Kette durch die Öffnung. Geduldig wartete er, bis Roxane sich umgedreht hatte, hob ihr Haar an und legte ihr die Kette um den Hals. Einen Moment lang ließ er seine Finger auf ihrer Haut verweilen, nachdem er ihr die Kette mit dem Ring in ihr Leibchen gesteckt hatte. Dann drückte er sie wieder an sich und küsste sie auf den Nacken.
»Ich liebe dich, Roxane«, flüsterte er. Er legte sein Kinn auf ihre Schulter und streckte ihr seine linke Hand entgegen, damit sie seinen Ring über den leicht geschwollenen Fingerknöchel ziehen und an seiner Kette befestigen konnte. Mit einer Hand hielt er sie an sich gedrückt, während er mit der anderen die Kette über seinen Kopf streifte. Er ließ es nicht zu, dass sie sich umdrehte, um ihm zu helfen. Schweigend an ihn geschmiegt, lauschte sie seinen unregelmäßigen Atemzügen und spürte das leichte Zittern, das ihn durchlief.
»Ich liebe dich auch, Collier«, wisperte sie.
Er antwortete nicht, aber sie spürte an der Anspannung seines Körpers, dass er ihre Worte gehört hatte.
15
Als Roxane nach Hause zurückkehrte, wollte Sera aufgeregt wissen, wo ihre Schwester ohne sie gewesen war. Roxane strich dem Mädchen beruhigend über das Haar und erklärte ihm, dass sie sich um etwas hatte kümmern müssen, was nur Erwachsene anginge, und dass Sera sie deshalb nicht hatte begleiten können. Mit ihrem Tonfall gelang es ihr, Seras Fragen abzuwehren, und als sie dann vorschlug, mit
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