Palast der Stürme
Mann, wie du ihn nennst, ist mein Ehemann. Wir haben vor über einem Monat in St. James geheiratet.«
Max Sheffield lehnte sich in seinem Stuhl zurück und atmete seufzend aus. Er hob ihre Hand und küsste sie in väterlicher Zuneigung. Danach schwieg er lange Zeit.
17
Meerut
Der undurchdringliche Feuerwall war mehr als eine Meile lang. Gleißender als die Strahlen der Sonne erhob er sich in den Himmel, als Tausende Unterkünfte im Lager der Sepoys brannten. Funken flogen wie Motten durch die Luft. Rauch stieg auf und bildete graue, unheilvolle Wolken. Collier spürte die Hitze des Feuers und hörte das Knacken von Holz, das Knistern der Strohdächer und die kleinen Explosionen, als sich die Lufteinschlüsse in den Lehmwänden erhitzten und platzten. Als Collier sich den Schweiß von der Stirn wischte, sah er Blut an seiner Hand. Wahrscheinlich war er bei seinem Galopp durch den Basar verletzt worden.
Aus den umliegenden Dörfern waren innerhalb einer Stunde nach Verkündung des Urteils unzählige Randalierer herbeigeströmt, hatten Geschäfte und Marktstände geplündert und alle Europäer angegriffen, die ihnen in den Weg kamen. Die Sepoys waren, angestachelt von den Huren, zur Stadt vorgedrungen und zogen zum Gefängnis, um ihre Kameraden zu befreien. Im Basar war Collier von einheimischen Polizisten mit neun Fuß langen, eisenbeschlagenen Knüppeln angegriffen und aufgehalten worden. Bei dem Gedanken daran schaute er hinunter zu seinem eigenen Schwert, das verbogen und blutverschmiert war.
Sie waren in der Nacht zuvor gewarnt worden. Collier hatte im Bungalow seines Freunds Lieutenant Gough zu Abend gegessen, als ein einheimischer Offizier kam, um angeblich über einige Abrechnungen mit ihm zu sprechen. Der Mann hatte Gough gewarnt, dass die Aufständischen planten, am kommenden Tag die verurteilten Gefangenen zu befreien. Das Urteil war am Samstag zuvor ohne nennenswerte Zwischenfälle unter stürmischem Himmel verkündet worden. Collier hatte Gough zuerst zu Colonel Carmichael-Smyth und dann zu Brigadier Archdale Wilson begleitet. Ihr Bericht war als unbedeutend abgetan worden, und Gough hatte von beiden Vorgesetzten einen milden Tadel erhalten.
Collier ging in die Hocke und lud sein Gewehr nach. Nicht weit entfernt von ihm tanzten und sprangen Sepoys um das ockerfarbene Feuer und schossen dabei mit der Munition, die sie aus den Armeelagern gestohlen hatten. Die gleichen Patronen, vor denen sie bisher so große Abscheu gezeigt hatten, wie Collier grimmig dachte.
Colonel Finnis war tot. Zwanzig Kugeln aus den Reihen der 20. Native Infantry hatten ihn in Stücke gerissen. Der Rekrut, der den ersten Schuss abgegeben hatte, war von dem Mob angegriffen und unschädlich gemacht worden. Anscheinend hatten die Aufständischen des 20. Regiments nicht vorgehabt, britische Offiziere zu töten. Dies war jedoch der Wendepunkt für sie, denn sie wussten, dass sie alle für schuldig erachtet werden würden. Also waren sie weitergezogen.
Das rasche Gemetzel ließ Collier vor Wut beinahe ersticken. In seinem Zorn konnte er kaum mehr vernünftig denken. Er vergaß, dass er immer beide Seiten einer Auseinandersetzung hatte betrachten wollen. Er hatte gute Männer vor seinen Augen sterben sehen, Offiziere, die sich des Ausmaßes dieses Konflikts nicht bewusst gewesen waren und geglaubt hatten, an die Loyalität ihrer Männer appellieren zu können, um so den Frieden zu bewahren. Noch wenige Minuten zuvor hatte er im taunassen Gras eine tote, verstümmelte Europäerin gefunden; das Kind, das man ihr aus dem Leib geschnitten hatte, lag wie ein blutiger, kaum zu deutender Klumpen neben ihr. Eine weitere Frau war bereits auf der Flucht in ihrer Kutsche zu Tode gekommen. Ein Sowar, ein Kavallerist der Einheimischenarmee, ritt neben der Kutsche her und stach immer wieder auf den leblosen Körper in dem heftig schwankenden Gefährt ein. Lieutenant Mackenzie hatte das Leben des Mannes beendet. Mackenzies eigener Diener, ein Straßenkehrer aus einer niedrigen Kaste, der seinem britischen Herrn immer noch treu ergeben war, hatte dem Lieutenant und einem Sergeant noch kurz vorher geholfen, über eine Gartenmauer zu entkommen. Dann wurde er von aufgebrachten Sepoys verfolgt und getötet. Collier hatte alle diese Dinge in so kurzer Zeit mit angesehen, dass er sie kaum fassen konnte.
Aus allen Richtungen hallten Schreie durch die Nacht. »Din! Din! – Für den Glauben! Für den Glauben!« Auch andere, düsterere Parolen wurden
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