Palast der Stürme
auch nicht unseren Vorgesetzten gemeldet. Es ist eine lange Geschichte, die ich dir jetzt nicht erklären kann. Da du jedoch ein Gentleman bist, erwarte ich von dir, dass du Stillschweigen darüber bewahrst.«
»Natürlich, Collier. Sogar unter Androhung der Todesstrafe.«
»Nein!«
Die beiden Männer drehten sich zu Roxane um. Sie wirkte mit einem Mal schrecklich blass. Collier streckte den Arm aus und zog sie an sich.
»Verzeih mir«, murmelte sie verstört. »Aber bitte sagen Sie so etwas nicht, Lieutenant Witmon. Ich bitte Sie.«
Collier musterte Roxanes bleiches Gesicht und tätschelte ihr beruhigend den Arm, obwohl ihm anders zumute war. Merkwürdigerweise begann sein Herz heftig zu klopfen. Witmon griff nach seiner Lampe und ersparte sich weitere Kommentare.
»Ich muss Roxane nach Hause bringen«, erklärte Collier. »Vielleicht kannst du ein paar Männer zusammentrommeln, damit ihr diese Versammlung aus der Ferne beobachten könnt. Bisher scheint es sich um eine friedliche Zusammenkunft zu handeln, also sehe ich keinen Grund, dagegen vorzugehen. Sollte es jedoch nötig sein, dann wecke einen der leitenden Offiziere. In der Zwischenzeit …« Er ließ den Satz unbeendet und warf dem Mann einen Blick zu, den beide verstanden.
Nachdem der Lieutenant gegangen war, befahl Collier seinem Stallknecht, ihn und die Memsahib zu begleiten. Er wollte nicht, dass die kurze Unterhaltung zwischen ihm und Witmon sofort die Runde machte, bevor er bereit dazu war.
Er schickte den Syce mit einer Lampe voraus und ging mit Roxane schweigend hinterher. Als sich einige Haarsträhnen lösten, hob Roxane die Arme, um sie festzustecken. Dabei zeichneten sich die Rundungen ihrer Brüste in ihrem Dekolleté ab, und er sah, dass ihre Haut Spuren von seinem unrasierten Kinn davongetragen hatte. Sie fuhr sich vorsichtig mit den Fingerspitzen über die geröteten Stellen und zog rasch den Stoff beiseite, so als würde die Berührung schmerzen. Er verspürte den Wunsch, sich dafür bei ihr zu entschuldigen, doch bis er die richtigen Worte fand, war der Moment verstrichen.
»Roxane«, begann er, als sie sich dem Haus ihres Vaters näherten. Er sprach so leise, dass der Diener ihn nicht hören konnte. »Ich habe immer noch einen Auftrag, was diese Situation betrifft. Sollte es hier zu Schwierigkeiten kommen, werde ich für deine Sicherheit sorgen, das verspreche ich dir.« Er sah, wie sie nickte und ihre Augen in der Nacht aufleuchteten. »Sollte es in den nächsten zwölf Stunden in Delhi keine Probleme geben, dann werde ich mich auf den Weg nach Meerut machen. Ich muss bei der Verurteilung dieser Männer anwesend sein. Ich weiß zwar nicht, was ich dort tun kann – falls ich überhaupt eingreifen kann –, aber ich muss zumindest berichten, was ich dort sehe.«
Roxane blieb kurz vor dem Tor zur Auffahrt im Schatten stehen. Sie suchte nach seinen Händen, und er ergriff sie und drückte sie an seine Uniformjacke. Obwohl die Nachtluft lau war, fühlten sich ihre Finger eiskalt an.
»Ich verstehe«, flüsterte sie.
»Hast du die Pistolen noch?«
»Ja.«
Rasch zog er sie in seine Arme. Ihr Haar an seiner Wange war weich und duftend.
»Oh Gott, Roxane«, murmelte er. Er hatte Angst davor, sie gehen zu lassen.
»Alles wird gut werden, Collier«, beschwichtigte sie ihn, aber es gelang ihr nicht, ihn davon zu überzeugen. Er hielt sie fest in seinen Armen und atmete ihren Duft ein. Er sog auch die Nachtluft ein, die noch nach der Hitze des Tages roch, die von der Mauer hinter ihnen abgestrahlt wurde, und nach Indiens allgegenwärtigem rotem Staub, nach Verfall und nach den geschlossenen Blüten im Garten. All diese Eindrücke vermischten sich und brannten sich unauslöschlich in sein Gedächtnis ein.
Roxane blieb noch eine Weile stehen und lauschte der leisen Unterhaltung zwischen Collier und seinem Stallburschen, als die beiden Männer zurück zur Straße gingen. Er hatte versprochen, vor Montagmorgen zurückzukommen, falls alles gut lief. Falls er sich bis dahin nicht meldete, könne sie davon ausgehen, dass ihr Ausflug nicht stattfinden werde und dass er versuchen werde, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Sie solle sich keine Sorgen um ihn machen, aber Vorkehrungen für ihre eigene Sicherheit treffen. Die Möglichkeit, dass er nicht mehr zurückkommen würde, wurde nicht erwähnt. Sie weigerte sich, solche Worte in den Mund zu nehmen.
Sie wandte sich zum Haus um und begann im Geiste die Dinge aufzuzählen, die sie
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