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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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während ihres Aufenthalts in Simla mit ihrer Familie nicht hatte teilnehmen dürfen. Offensichtlich stammten ihre Erzählungen aus zweiter Hand, klangen jedoch sehr echt. Roxane schloss die Augen.
    »Denken Sie doch nur an Ihre Möglichkeiten«, hatte Augusta vor weniger als einer Stunde beim Frühstück zu ihr gesagt, als sie Captain Harrisons Einladung besprochen hatten. »Natürlich sieht es so aus, als hätten Sie davon reichlich, das gebe ich gern zu; allerdings müssen wir auch Ihr … Ihr Alter bedenken. In der heutigen Gesellschaft haben Sie das heiratsfähige Alter bereits um volle vier Jahre überschritten.«
    Das heiratsfähige Alter um volle vier Jahre überschritten. Meine Güte, dachte Roxane ironisch, während sie sich auf ihrem schaukelnden Sitz zurechtrückte. Dann werde ich wohl schon bald an Altersschwäche leiden.
    Plötzlich bemerkte sie, dass der Einspänner seine Fahrt verlangsamt hatte und anhielt. Sie warf einen Blick unter dem ausgefransten Dach hervor nach oben auf die Fassade eines Gebäudes, das eindeutige Züge britischer Architektur trug. Es war umgeben von einer Hecke, die es von dem benachbarten Bauwerk trennte, auf das die Bezeichnung Residenz kaum zutraf. Die überwucherten Mauern glichen eher einer Ruine als einem Heim und waren wahrscheinlich die Überreste einer Art Tempel.
    Allerdings gab es Anzeichen dafür, dass es bewohnt war. Vor dem Haus war eine Ziege angebunden, und daneben befand sich ein großer Haufen. Wahrscheinlich handelte es sich um Abfall, und wenn nicht, wollte Roxane lieber nicht wissen, was es war.
    Collier begann mit einer kurzen Chronik beider Gebäude, und Unity unterstützte ihn begeistert. Überraschenderweise schien sie mit der Geschichte vertraut zu sein, wenn sie sie auch mit einigen Varianten aus dem früher einmal sehr populären Buch »Tausendundeine Nacht« vermischte. Als Roxane sich umdrehte, sah sie, dass die Ayah ihr begeistert zuhörte, während Colliers Jemadar einen Fleck auf seinem Ärmel kritisch beäugte. Collier lauschte Unitys Beschreibungen amüsiert, nickte ihr jedoch ermutigend zu, bis sie schließlich keine lyrischen Ausdrücke für ihr Lieblingsthema mehr fand. Collier dankte ihr, schnalzte leicht mit den Zügeln und fuhr weiter.
    Die nächsten beiden Stunden verbrachten sie auf die gleiche Weise – sie sahen sich Gebäude an und sprachen darüber.
    Während sie jedoch durch einige der ärmlichen Viertel der Stadt fuhren, die in einer seltsamen Symbiose auf Tuchfühlung mit den wohlhabenden standen, wurde Unity ungewöhnlich still. Roxane verstand, warum. Das Elend des Lebens vieler Einheimischer war in diesem Kontrast sehr aufwühlend. Und trotzdem zeigte das Programm ihrer Fahrt sehr deutlich die Fremdartigkeit der britischen Bauwerke und ermutigte dazu, die außergewöhnliche Mannigfaltigkeit einer andersartigen Kultur zu erkennen, zu der Roxane bisher noch keinen Bezug gehabt hatte.
    Schließlich wandte sie sich an Collier und bedankte sich.
    »Das hast du absichtlich gemacht, nicht wahr?«
    »Ach ja?«, fragte er mit gespielter Gleichgültigkeit. Leise murmelnd beruhigte er das Pferd, das vor einem Ochsen scheute, der die Straße blockierte. Sie verließen den Basar der Einheimischen, um wieder in die Stadt zurückzukehren.
    »Eine Verdeutlichung«, meinte sie.
    »Das habe ich gehofft«, sagte er lächelnd. »Du bist eine der wenigen Frauen, die ich je getroffen und denen ich zugetraut habe, dass sie die Wahrheit erkennen können. Indien ist ein wildes Land, aber es besitzt auch eine Schönheit, die man nicht in Worte fassen kann. Und du, meine Liebe, hast noch nicht einmal die Hälfte davon gesehen.«
    »Du hast sicher recht«, stimmte Roxane ihm zu. »Wahrscheinlich werde ich auch nicht alles begreifen, da ich durch meine Erziehung mit den Vorurteilen unserer Insel behaftet bin«, fügte sie sarkastisch hinzu. Dann lehnte sie sich zu Collier hinüber und senkte die Stimme. »Aber ich glaube, für Unity ist es jetzt genug.«
    Er warf einen Blick nach hinten auf das schweigende Mädchen und drehte sich dann wieder zu Roxane um, die ihm, auf ihre Hände gestützt, ihr Gesicht zuwandte und auf einen Vorschlag wartete, der Unity aufheitern könnte. Stirnrunzelnd sah er auf die Straße und verbrachte, wie Roxane fand, endlose Minuten damit, über eine Antwort nachzudenken.
    »Ich würde vorschlagen, dass du dich nach hinten setzt, Roxane, oder ich werde meinen männlichen Trieben nachgeben und dich küssen. Obwohl das ein

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