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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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gesprochen, als wir uns das erste Mal sahen. Und er hat mir zugestimmt, dass das eine gute Idee ist. Unity wird mitkommen, und ihre Ayah und mein Jemadar werden uns begleiten. Natürlich nur, wenn du willst. Bist du einverstanden, Roxane?«
    Er war ihr so nah, dass sie seinen muskulösen, warmen Körper in der Dunkelheit erahnen konnte. Er hatte seinen Kopf leicht geneigt, sodass jeder Atemzug ihre Haare an den Schläfen aufwirbelte. Sie sah das Funkeln seiner Augen. Eingehüllt von der schwindenden Nacht, empfand sie seine Nähe wie einen Mantel, eine Obhut, in der sie Vertrauen schöpfen konnte.
    »Ich denke schon«, flüsterte sie.
    Er lachte leise und trat noch einen Schritt näher von hinten an sie heran.
    Seine Finger glitten über ihre Arme, und er hob ihre Hände hoch bis zu ihren Schultern und hielt sie dort fest. Dann legte er sein Kinn auf ihren Scheitel.
    »Roxane, ich möchte dir etwas zeigen. Du musst ganz still stehen bleiben – nein, ich meine es ernst. Das ist kein Trick. Steh still und leg den Kopf in den Nacken. So. Nun sieh hinauf zum Himmel im Osten und warte.«
    Sie tat, worum er sie gebeten hatte, und wagte kaum zu atmen. Ihre Hände zitterten, und er drückte sie sanft.
    »Hab keine Angst«, flüsterte er.
    »Ich habe keine …«
    Das Geräusch, das aus seiner Kehle kam, ging ihr durch und durch wie das Donnern eines fernen Gewitters.
    »Warte …«, murmelte er. »Gleich …«
    Am Horizont stieg die Sonne aus dem Schaum, eine blutige Münze, an deren Rand ein dunkelrotes Feuer brannte. Sie schien am Rand der Welt zu schweben.
    »Gleich«, sagte er noch einmal. »Jetzt …«
    Und die Sonne explodierte, und ihre Strahlen drangen unaufhaltsam wie ein gieriger Liebhaber in jeden Winkel und um jede Ecke; sie raubte der Nacht ihre keusche Anonymität und schob sie goldschimmernd in das strahlende Tageslicht. Roxane blinzelte, geblendet von diesem Glanz, wandte ihren Blick jedoch nicht ab, als das Gold mit den violetten Schatten verschmolz, sich auf der anderen Seite in durchscheinendem Perlmutt erhob und sich in smaragdgrüne und blaue Farbtöne so tief wie die Nacht verwandelte. Die ganze Welt vor ihren Augen war bestimmt durch Farben, mehr Farben, als sie sich jemals hätte vorstellen und im Gedächtnis behalten können. Sie schimmerten zitternd wie ein Wassertropfen an einer Quelle. Und dann brach das Wasser hervor, rasch und ohne Warnung, und die Juwelen bedeckten die staubige Erde.
    Roxane schwieg eine Weile. Sie drückte Colliers Hand, als suchte sie einen Anker auf einer Erde, die zu kippen schien.
    Sie fühlte seine Lippen an ihrem Haar, als er sie sanft über ihrem Ohr küsste. Dann trat er einen Schritt zurück. Ein kalter Schauer überlief sie, als sie seine Körperwärme nicht mehr spüren konnte.
    »Ich weiß«, murmelte er, legte seine Hand wieder auf ihren Nacken und zog sie an sich, um ihr noch einen Kuss auf das Haar zu drücken.
    Dann ließ er sie wieder los und fuhr sich mit den Fingern durch das schwarze Haar.
    »Ich würde dir so gern alle schönen Dinge auf dieser Welt zeigen, Roxane«, sagte er. »Du musst mich nur lassen.« Er wartete nicht auf eine Erwiderung, sondern ging zum Gartentor. Dort drehte er sich kurz um und erinnerte sie daran, dass er in einer Stunde mit einer Kutsche wiederkommen würde.
    Roxane blieb einige Zeit mit vor ihrer Taille verschränkten Händen stehen und konzentrierte sich. Sie hatte Angst, dass sie, wenn sie sich bewegte, plötzlich jeglichen Orientierungssinn verlieren könnte. Ein großes Insekt ließ sich von der Verandadecke auf ihre Schulter fallen. Sie drehte gedankenversunken den Kopf und blies auf seine Flügel, um das Tier von ihrem Morgenmantel zu vertreiben. Der Gärtner erschien mit einer Gießkanne vor der Veranda und lächelte ihr zu, bevor er rasch wieder verschwand. Er war ein Brahmane, ein Angehöriger der obersten Kaste der Hindus. Unity hatte Roxane davor gewarnt, sich der Hütte des Gärtners zu nähern, wenn er beim Essen war, denn selbst wenn nur ihr Schatten auf seine Mahlzeit fiel, wäre diese für ihn verdorben, und er könnte sie nicht mehr zu sich nehmen.
    »Roxane?«
    Roxane wandte sich der Stimme zu und blinzelte, als sie Augusta Stanton um die Ecke kommen sah.
    »Habe ich da eben Captain Harrison gehen sehen, Roxane?«
    »Ja.«
    »Ich weiß nicht, woran Sie in London gewöhnt sind, Roxane, aber darf ich Ihnen empfehlen, hier Ihre Gäste in Zukunft in angemessener Kleidung zu empfangen?«
    Roxane sah bestürzt auf

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