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Palast der Stürme

Palast der Stürme

Titel: Palast der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa Deane
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befohlen. »Ich will nichts mehr davon hören.«
    Nach ihrer Rückkehr zum Haus der Stantons war Unity sofort mit der ganzen Geschichte herausgeplatzt. Roxane hielt sie nicht davon ab. Es spielte keine Rolle mehr. Sie setzte sich in einen Sessel, streckte den Rücken und legte die Hände in den Schoß, während Unity Augusta schluchzend alles berichtete. Oft war ihre Stimme kaum zu hören, da sie ihren Kopf im Schoß ihrer Mutter vergraben hatte. Augusta strich ihrer Tochter sanft über das feuerrote Haar und starrte Roxane quer über den Raum an. Roxane hielt ihrem Blick ohne zu blinzeln stand. Nach einer Weile wandte sie sich jedoch ab und sah aus dem Fenster auf den samtigen tiefblauen Abendhimmel.
    »Nun gut«, begann Augusta, als Unitys Stimme sich verlor und nur noch hin und wieder ein ersticktes Schluchzen zu hören war. »Ich nehme an, dass Sie jetzt nichts mehr dagegen einzuwenden haben, dass Colonel Stanton mit den Vorgesetzten des Captains spricht, Roxane? Wir sollten zumindest dieser Sache auf den Grund gehen.«
    »Ich verstehe diese Situation sehr gut, Mrs Stanton«, hatte Roxane erklärt, obwohl das nicht ganz der Wahrheit entsprach.
    »Selbst wenn ich glauben würde, dass er keine andere Frau liebt, so bin ich mir bewusst, dass er sich nicht ehrenvoll verhalten hat. Er war bereits verlobt, bevor wir uns kennengelernt haben, und hat sich mir erklärt, ohne das Recht dazu zu haben. Und ich kann mich nur darüber wundern, dass ihn sein Gewissen nicht geplagt hat.«
    Plötzlich stand Unity neben ihr, griff nach ihrer Hand und riss sie aus ihren Gedanken.
    »Kommen Sie mit uns nach Simla«, bat sie. »Dort ist es so viel angenehmer als hier in der Hitze und dem Regen.«
    Roxane lächelte sie an und zog sanft ihre Hand zurück. »Ich muss bleiben, Unity. Ich bin aus einem bestimmten Grund nach Indien gekommen, und dieses Vorhaben werde ich durchführen. Wenn mein Vater und ich zwischen uns einiges wiedergutmachen wollen, dann darf ich die Sache nicht länger hinauszögern.«
    »Das verstehe ich, Roxane«, erwiderte Unity. »Aber ich mache mir Sorgen um Sie.«
    »Sorgen? Warum um alles in der Welt solltest du dir Sorgen um mich machen?«
    Unity trat näher heran und stellte sich auf Zehenspitzen, um Roxane ins Ohr flüstern zu können. »Roxane, Sie können nicht leugnen, dass er Sie verletzt hat.«
    Roxane wich zurück. »Kann ich nicht hier genauso gut leiden wie anderswo? Ich möchte lieber hier nützliche Schritte nach vorn machen, anstatt mich in irgendeinem Bergdorf selbst zu bemitleiden.«
    Unity runzelte die Stirn und legte verblüfft den Kopf zur Seite. »Selbstmitleid? Davon habe ich nichts bemerkt. Sie wirken sehr leidenschaftslos, Roxane. Sie haben nicht einmal geweint.«
    »Und ich habe auch nicht vor zu weinen«, versicherte Roxane ihr. »Das habe ich ihm gesagt, Unity.«
    »Dann wussten Sie Bescheid?«, fragte Unity bestürzt.
    »Ich wusste nichts«, erwiderte Roxane. »Aber ich glaube, dass er bei einigen Gelegenheiten versucht hat, es mir zu sagen …« Ihre Stimme verlor sich, und sie drehte sich um und zupfte einen Strohhalm von dem steifen braunen Fell des Kutschenpferds.
    Unity trat näher an den Kopf des Pferds heran und fuhr mit den Fingern durch dessen Mähne. Sie senkte die Stimme.
    »Er hat Sie geliebt, Roxane. Das sah doch jeder.«
    Geliebt, dachte Roxane. Nun wurde bereits in der Vergangenheit davon gesprochen. Als könnte ein früheres Versprechen, das Jahre zuvor unter nicht bekannten Umständen gegeben worden war, seinen jetzigen Gefühlszustand ändern, indem es wieder zum Leben erweckt wurde. Vielleicht war das tatsächlich der Fall gewesen. Bedeuteten die Verpflichtung zur Ehre und die damit verbundenen eisernen Regeln einem Mann nicht mehr als die Hingabe an eine Frau? Möglicherweise hatte er sie auch nie wirklich geliebt. Vielleicht hatte er nie die Leidenschaft empfunden, die er sich selbst gegenüber beschworen hatte. Falls er jedoch gedacht hatte, damit etwas von ihr zu bekommen, so konnte sie sich ruhigen Gewissens damit trösten, dass sie seine niederen Gelüste nicht befriedigt hatte.
    Und wenn er sie tatsächlich geliebt hatte? Roxane strich gedankenverloren über die Flanke des Pferds und entfernte Stroh und anderen Schmutz aus seinem Fell. Wie ging ein Mann mit einer solchen Zuneigung um, wenn er sich für einen anderen Lebensweg entschieden hatte? An welchem Ort in seinem Herzen vergrub er diese Liebe, damit sie ihm in den folgenden Jahren keine Probleme oder

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