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Palast der Suende - Roman

Palast der Suende - Roman

Titel: Palast der Suende - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Smith
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Cherrys Begierde ersetzt worden: Ein kleiner Becher mit gelato, Pistazien und Vanille, darüber dunkle Schokoladenkrümel gestreut. Claire schaute amüsiert zu, wie ihre Freundin Löffel um Löffel einfuhr, und wunderte sich, wie sie es schaffte, ihre spektakuläre Figur zu halten. Cherry schien einfach immer nur zu essen.
    Claire lehnte sich lächelnd zurück, setzte sich die Sonnenbrille wieder auf und genoß die späte Sommersonne auf ihren nackten Schultern. Wie immer tummelten sich nicht nur Tausende von Touristen auf dem Markusplatz, sondern auch zehnmal so viele Tauben. Sie hüpften mit Vorliebe unter die Karren der Straßenhändler, um dort die Krümel aufzupicken. Aber unter den meisten Karren lagen keine Krümel, die Händler verkauften Sonnenhüte, Ansichtskarten oder Zeitschriften.
    Sie ließ sich vom Gewirr der Stimmen einlullen und
beobachtete das geschäftige Treiben durch halb geschlossene Lider. Obwohl es schon September war, hatte sie gut daran getan, die Sonnenbrille mitzubringen. Das unglaublich helle venezianische Licht prallte auf jede Oberfläche und wurde von dort zurückgeworfen – von den blassen Gebäuden, vom Asphalt der Straße, vom glitzernden Wasser der Lagune und am spektakulärsten vom schlanken Glockenturm bei der Markuskirche. Endlich einmal war die Sicht auf die Kirche nicht von Gerüsten behindert, was allerdings nicht für andere Gebäude am Platz galt. Manche waren mit diesen unvermeidlichen Plastikplanen verhangen, die fast schon ein Teil von Venedig geworden waren wie das grüne Wasser der Kanäle. Aber Claire störte das nicht. Die Stadt bestand aus Gegensätzen, und immer wieder war sie fasziniert davon.
    Sie nippte an ihrem Espresso und streifte sich die Schuhe ab, um die Zehen unter dem kleinen Tisch strecken zu können. Sie und Cherry hatten am Morgen die Straßen der mercerie durchkämmt, die glitzernden Einkaufsstraßen, die sich durch das Herz der City wanden. Sie hatten seidene Blusen betastet und modische Ledertaschen befühlt, Parfums probiert und auch gekauft – sie hatten beide mehr Geld ausgegeben, als sie sich eigentlich erlauben wollten, und dann waren sie erschöpft und hatten sich auf den Rückweg zum Hotel begeben.
    Cherry kümmerte sich nicht um die starrenden Blicke der Passanten, als sie die letzten Eisreste aus dem Becher aufleckte, dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück, ein Ausdruck völliger Zufriedenheit auf dem Gesicht.
    »Das war phantastisch«, sagte sie und schloß die
Augen. »Jetzt könnte ich mich eine Weile ins Bett kuscheln.«
    »Warum tust du das nicht?« Claire beugte sich vor und wischte einen Rest von Eis weg, der Cherry von der Lippe zum Kinn gelaufen war. »In einer Stunde wird die ganze Stadt geschlossen sein, wenn die Siesta beginnt.«
    »Auch die Geschäfte?«
    »Die meisten.«
    Cherry verzog das Gesicht. »Wenn ich nicht einkaufen kann, werde ich tatsächlich ein bißchen Augenpflege betreiben. Und was machst du?«
    »Ich wollte ein bißchen durch die Gegend schlendern.«
    »Oh, verdammt!« rief Cherry plötzlich. Sie hatte die Rechnung in die Hand genommen, die der Kellner diskret unter den Becher geschoben hatte. Sie starrte auf die Rechnung und sah dann Claire entsetzt an.
    »Mach mir keinen Vorwurf«, sagte Claire lachend. »Du warst es, die unbedingt hier sitzen wollte, weil du Angst hattest, du könntest es nicht mehr bis zum Hotel schaffen. Die Cafés hier sind berüchtigt für ihre Preise.«
    »Das sagst du mir jetzt!« Cherry schüttelte den Kopf, reichte dem herablassenden Kellner aber die Lirescheine. Sie stand auf und begann, ihre Einkaufstaschen zusammenzupacken. »Dann geh spazieren. Ich bringe die ganzen Sachen erst einmal ins Hotel.«
    »Bist du sicher, daß du das allein schaffst?«
    Cherry nickte. »Ich bin stark wie ein Ochse.« Sie schritt auf ihren hochhackigen Sandalen über den Platz, und ihre Freundin schaute ihr eine Weile zu, amüsiert über die vielen Männerköpfe, die sich nach ihr umdrehten.
    In den Straßen der mercerie hatten die meisten Geschäfte
ihre Läden schon heruntergelassen, und es waren schon viel weniger Menschen unterwegs.
    Claire spazierte hinaus zu den stilleren Straßen des dorsoduro – wörtlich der »harte Rücken« der Stadt. Dort war der Boden härter, was die Venezianer ermutigt hatte, dort einige ihrer schönsten Paläste und Kirchen zu bauen.
    Sie blieb ein paar Minuten auf der Brücke stehen und schaute auf den Canale Grande in Richtung der Kirche Santa Maria della

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