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Palast der Suende - Roman

Palast der Suende - Roman

Titel: Palast der Suende - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Smith
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schnell, daß Claire nichts verstehen konnte. Dann beugte er sich vor und küßte den jüngeren Mann auf den Mund. »Ciao, amica mio.«
    Als Vittorio gegangen war, saß Claire still und benommen da und starrte auf die Reste der Gambas auf ihrem Teller. Weil ihr nichts anderes einfiel, nahm sie einen großen Schluck Wein. Er schmeckte rauh und brannte in ihrer Kehle. Sie hustete und wischte sich mit der Hand über den Mund.
    Stuart faltete seine Serviette zusammen, den Blick starr auf ihr Gesicht gerichtet. »Ich nehme an, daß du wieder zu deiner Arbeit willst.«
    »Ja«, sagte sie dumpf. »Ich muß mal sehen, wie weit Pietro mit den Fresken gekommen ist.«
    Er nickte und fragte dann: »Hast du über das nachgedacht, worum ich dich gestern gebeten hatte? Wegen des Porträts? Du bleibst nicht mehr lange.«
    Sie stand auf und warf die Serviette auf ihren Teller. »Dränge mich nicht, Stuart«, sagte sie scharf. »Ich habe keine Lust.«

Neuntes Kapitel
    »Die Kuppel direkt über Ihnen, die Pfingstkuppel, war die erste der Basilika, die mit Ornamenten ausgestattet wurde. Die Mosaiken repräsentieren die Länder, deren Sprachen die Apostel am Pfingsttag gehört hatten. An der Wand des rechten Gangs sehen Sie ein anderes Meisterwerk der Mosaikkunst, ebenfalls zwölftes Jahrhundert, das den Titel trägt ›Die Pein im Paradiesgarten‹...«
    Cherry lauschte schamlos und verrenkte sich fast den Hals, um das Mosaik sehen zu können, von dem der Tourführer sprach. Das Innere der Markuskirche bot viel zuviel, um während eines einzigen Besuchs aufgenommen zu werden; es verwirrte die Sinne mit den zierlichen Bögen und den Kuppeln mit ihren glänzenden Mosaiken. Obwohl es ein trüber Tag war und kein Sonnenlicht durch die hohen Fenster fiel, wurde Cherry vom Strahlen der Mosaike geblendet.
    Der Führer und seine Gruppe gingen weiter in die Taufkirche, und Cherry blieb in ihrer Bank zurück. Aber allein war sie dort auch nicht. Touristen schwärmten aus, und aus allen Richtungen drangen Laute des Staunens und der Bewunderung an Cherrys Ohren. Ihre Schritte hallten laut wider, denn um den Boden zu schonen, hatte man Holzbohlen darüber gelegt.
    Ihr Nacken schmerzte, weil sie so lange hinaufgeschaut hatte, deshalb senkte sie jetzt den Blick und betrachtete die freigelassenen Teile des Bodens, glitzernder Marmor in verschiedenen Farben, kunstvoll zusammengefügt zu geometrischen Mosaiken. Seufzend stand sie
auf und streckte sich. Sie hatte fast eine Stunde in der Bank gesessen und alles in sich aufgesogen, aber jetzt war es Zeit, in die wirkliche Welt zurückzukehren.
    Draußen war das Wetter noch schlechter geworden. Der Himmel hing tief und grau verhangen, und von der Lagune blies ein forscher Wind auf den Markusplatz.
    Cherry schüttelte sich und war froh, daß sie lange Ärmel trug, die für den Besuch der Kirche ebenso vorgeschrieben waren wie der Rock.
    Hinter dem Portal blieb sie stehen und überlegte, ob sie gleich zum Hotel oder zum erstbesten Café gehen sollte, um einen heißen Kaffee zu trinken. Die Tische und Stühle vor den Häusern sahen alles andere als einladend aus, sie müßte schon etwas finden, wo sie sich wärmen konnte.
    Bevor sie zu einer Entscheidung fand, faßte jemand sie am Ellenbogen.
    »Da bist du ja endlich!« Sie drehte sich um und sah sich einem der Albrecht-Zwillinge gegenüber. »Deine Freundin Claire meinte, ich könnte dich hier finden. Wir müssen miteinander reden.«
    Cherrys Stirn kräuselte sich. War es Harper oder Quaid? Die resolute Art der Stimme ließ sie auf den älteren der Zwillinge tippen. Sein Mund bildete eine grimmige Linie, und die grauen Augen blickten hart. Ja, er mußte Quaid sein. Harper hatte keinen Grund, sich über sie zu ärgern – eher im Gegenteil, fand sie.
    In ihrem Bauch rumorte es. Hatte Quaid erfahren, was zwischen ihr und seinem Bruder gelaufen war? Er nahm sie am Arm und führte sie quer über den Platz, wo sie reden konnten, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Ich habe über den gestrigen Tag nachgedacht«, sagte
er barsch. »Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich der Meinung, daß du mir eine Erklärung schuldest. Es war ziemlich grausam von dir, so einfach davonzulaufen.«
    Cherry atmete erleichtert auf. Offenbar wußte er nichts von ihr und Harper. Aber er war immer noch wütend und verletzt.
    Sie schaute hinaus auf das unruhige Wasser der Lagune und war froh, seinem Blick nicht begegnen zu müssen.
    »Es tut mir leid«, sagte sie.

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