Palazzo der Liebe
privaten Refugium erkoren hatte. Eigentlich müsste sie sich hier wie ein Eindringling vorkommen, aber das tat sie nicht. Stattdessen fühlte sie sich sogar willkommen …
Erfüllt von dieser wundervollen Empfindung, blieb sie einen Augenblick stehen und sah sich neugierig um. Auf einem hellen Teppich vor dem Kamin, den zu beiden Seiten raumhohe Bücherregale flankierten, stand eine gemütliche Couch aus weichem Leder und davor ein niedriger Tisch.
An einer Wand stand ein Rosewood-Piano mit vergoldeten Kerzenhaltern, an der gegenüberliegenden ein zierlicher Schreibtisch mit einem Schubladenaufsatz.
Der schlichte, aber eigenwillig und charmant eingerichtete Raum sagte viel über seine Besitzerin aus, und Sophia wünschte sich plötzlich brennend, sie hätte Fran – wie Stephen sie nannte – oder Francesca Sophia Fortuna noch kennenlernen dürfen.
Doch dann rief sie sich zur Ordnung, ging zum Schreibtisch, öffnete die rechte obere Schublade und nahm die Liste heraus, von der Stephen gesprochen hatte. Zusammen mit einem Block und Stift, die auf dem Schreibtisch lagen, trug sie sie zur Gemäldesammlung und sah diese durch, wobei sie sich immer wieder Notizen machte.
Und in der Tat, so wundervoll viele der Ölgemälde gearbeitet waren, so düster und regelrecht bedrohlich wirkten sie. Ideal für einen fanatischen Privatsammler oder ein Museum, aber nichts, was sich normale Kunstliebhaber an die Wohnzimmerwand hängten.
Ein oder zwei dürften deutlich von einer behutsamen Reinigung profitieren, aber die meisten waren in einem bemerkenswert guten Zustand, sodass sie viel weniger Arbeit mit ihnen hätte als erwartet. Was für eine gute Entdeckung!
Oder nicht?
Das hing natürlich ganz davon ab, was Stephen tatsächlich für sie empfand. Sie hatten sich romantisch und zärtlich, aber auch wild und leidenschaftlich geliebt. Doch für ihn bedeutete es offenbar nur einen rein physischen Akt. Zumindest hatte er nichts gesagt, was einen anderen Schluss nahelegte – sosehr sie sich das auch wünschte.
Egal, wie die Geschichte für sie ausging, für Reue war es ohnehin zu spät.
Als sie hörte, wie die Tür aufging, drehte Sophia sich lächelnd um. Doch das Lächeln gefror auf der Stelle, sobald sie erkannte, dass nicht Stephen, sondern die Marchesa auf der Schwelle stand.
Perfekt gestylt, mit dem exakt geschnittenen, rabenschwarzen Haar und den karminrot geschminkten Lippen, trug sie geradezu mörderische High Heels zum offensichtlich maßgeschneiderten kobaltblauen Seidenkostüm, das ihre weiblichen Formen vorzüglich zur Geltung brachte.
In ihrem schlichten Baumwollkleid, ohne jedes Make-up und mit nachlässig hochgestecktem Haar fühlte Sophia sich ihr gegenüber schrecklich unattraktiv und unterlegen.
Auf den vollen Lippen der Marchesa lag ein höfliches Lächeln, das jedoch nicht ihre Augen erreichte. „Wie ich sehe, sind Sie in Ihre Arbeit vertieft, Signorina Jordan“, stellte sie in ausgezeichnetem Englisch fest. „Ich hoffe, Sie kommen gut voran?“
„Bisher habe ich nicht viel mehr als einen ersten Blick auf die Sammlung werfen können“, gab Sophia defensiv zurück.
„Das überrascht mich nicht, wenn ich bedenke, was Stephen mir über … Ihren späten Start heute Morgen erzählt hat.“
Das hatte er doch nicht wirklich getan … oder?
„Ein nächtlicher Überraschungsbesuch soll die Schuld daran getragen haben?“
„Ja.“ Erleichtert atmete sie auf.
„Hatten Sie nicht schreckliche Angst?“
„Anfangs schon.“
„Aber ich bin sicher, Stefano ist Ihnen als Ritter in schimmernder Rüstung zur Hilfe geeilt“, vermutete die Marchesa ironisch. Da Sophia nicht darauf einging, sprach sie nach einer Pause weiter.
„Nun gut, da Sie aus verständlichen Gründen verschlafen haben, können Sie wohl noch nicht abschätzen, wie lange Sie brauchen werden, um die Verkaufsausstellung vorzubereiten?“
Unwillig, dieser arroganten Frau die Wahrheit zu sagen, hob Sophia vage die Schultern. „Ich befürchte … nein.“
„Trotzdem hat mir Stefano eben erzählt, dass Sie beide heute Nachmittag eine Art Sightseeingtour unternehmen wollen …“
„Das war sein Vorschlag.“
Die Miene der Marchesa verdunkelte sich. „Nun, um Ihrer eigenen Sicherheit willen, kann ich Ihnen nur raten, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, für die Sie bezahlt werden, und Ihren Aufenthalt in Venedig nicht unnötig auszudehnen.“
„Zu meiner eigenen Sicherheit?“, wiederholte Sophia ungläubig.
„Venedig gilt
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