Palazzo der Liebe
Fenster hinüberging, starrte Stephen sie einen Moment stumm an. Genau in der angegebenen Höhe stand etwas krakelig und undeutlich, aber dennoch eindeutig der Name Sophia. Langsam drehte Stephen sich um und nickte.
„Aber … ich verstehe das nicht“, flüsterte sie. „Ich war doch noch nie hier. Wie kommt mein Name auf diese Scheibe?“
„Vielleicht ist es gar nicht dein Name“, meinte Stephen langsam. „Fran hieß nämlich mit vollem Namen Francesca Sophia.“
„Oh!“ Das hörte sich fast erleichtert an.
„Aber das erklärt natürlich nicht, woher du davon wusstest. Es sei denn, du hast verborgene hellseherische Fähigkeiten“, fügte er lächelnd hinzu.
Sophia schüttelte den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste.“
„Dann bleibt es wohl ein Geheimnis …“ Er streichelte Sophias Gesicht. „Sieh nicht so beunruhigt drein. Wenn man ein Rätsel ruhen lässt, löst es sich häufig von selbst. Komm, lass uns nachsehen, welche Bilder Fran unbedingt loswerden wollte.“
„Wo sind sie denn?“
„Gleich hier, in diesem Raum.“
Gegenüber dem offenen Kamin, genauso hoch wie der verzierte Sims, stand ein massiver dunkler Eichenschrank mit sechs Doppeltüren. Stephen ging zu dem Möbelstück und wies auf ein unauffälliges kleines Holzpaneel an der Wand.
„Das ist ein verstecktes Sicherheitssystem, das den Alarm auslöst, sobald jemand versucht, den Schrank zu öffnen, ohne ein sechsstelliges Passwort einzugeben, das du dir aber leicht merken kannst.“
Er schob das Paneel zur Seite und tippte das Wort FEN ICE – Phönix – ein, bevor er die ersten Doppeltüren öffnete. Im Innenraum entdeckte Sophia flache Schubböden, auf denen die Bilder einzeln gelagert werden konnten.
„Die meisten von ihnen hingen früher in den oberen Räumen. Beim Umzug in die untere Etage ließ Fran den Schrank umbauen, damit sie die kostbaren Werke unter Verschluss aufbewahren konnte, ohne dass sie dabei Schaden nehmen. Und so funktioniert das Ganze.“
Er löste einen Zentralriegel; anschließend ließen sich die einzelnen Böden herausziehen, um das jeweilige Bild zu betrachten.
„Was für ein praktisches System“, stellte Sophia voller Bewunderung fest. „Das könnten wir im A Volonté auch gebrauchen.“
„Ja, es vereinfacht es, wenn man sie sich öfter anschaut. Und wenn du ein Bild reinigen oder restaurieren willst, gehst du einfach in das Werkstattatelier, das Fran in einem der anderen Zimmer eingerichtet hat. Dort steht alles, was du brauchst, von Reinigungsmaterialien über Farben, Pinsel, Werkzeug und was du sonst noch benötigst.“
„Vermutlich hast du sie schon einmal durchgeschaut, um dir ein Bild von dem notwendigen Arbeitsaufwand zu machen?“, fragte sie.
Darauf hob Stephen fast verlegen die Schultern. „Ehrlich gesagt, habe ich sie seit langer Zeit überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen, und ganz sicher nicht, seit sie in diesem Schrank liegen. Doch ich glaube, die meisten befinden sich in einem ganz guten Zustand. Und die Bilder, die besonders viel Aufwand erfordern, stellen wir einfach für die nächste Ausstellung zurück.“
Er zog weitere Laden auf und trat zur Seite, damit Sophia die Exponate besser sah.
„Obwohl einige wahre Meisterwerke darunter sein sollen, stellen sie häufig ziemlich trostlose Szenen dar. Neben religiösen Motiven handelt es sich meist um Abbildungen von Tod, Zerstörung und blutige Jagdszenen. Auf jeden Fall keine Bilder, die man täglich vor Augen haben möchte.“
Ein dezentes Klopfen ließ beide zur Tür schauen. Kurz darauf sah Rosa sie entschuldigend an.
„Verzeihung, Signor Stefano, aber die Marchesa ist da und besteht darauf, mit Ihnen zu sprechen. Sie sagt, es sei sehr wichtig.“
„Danke, Rosa. Ich bin gleich unten.“
Sobald sich die Tür hinter der kleinen aufrechten Gestalt schloss, hob Stephen in einer gespielt dramatischen Geste die Hände. „Besser, ich gehe und höre mir an, was Gina für ein Problem hat. Wenn du schon weitermachen willst … ich bin gleich wieder zurück.“
An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Übrigens … in der rechten Schublade von Frans Schreibtisch findest du eine handgeschriebene Auflistung der zum Verkauf stehenden Bilder und Notizen über ihre Herkunft.“
Nachdem er Sophia noch einen Luftkuss zugeworfen hatte, verschwand er endgültig nach unten.
Sophia lächelte verträumt wegen der romantischen Geste und schlenderte zurück in das angrenzende kleine Wohnzimmer, das Stephens Tante zu ihrem
Weitere Kostenlose Bücher