Palazzo der Lüste
aus.
»Welchen Tag haben wir?«, unterbrach sie ihn
»Den 18. Juni 1754.«
Die Knie gaben unter ihr nach. Mit einem Aufschrei wäre sie zu Boden gestürzt, wenn er sie nicht aufgefangen hätte. Dabei starrte er wieder den Anhänger an ihrem Halsband an.
»Was ist mit Ihnen?«
Sie antwortete nicht. Der Tag stimmte, aber es fehlten 250 Jahre zu ihrer Zeit. Was sie nicht zu denken gewagt hatte, seit der Venezianer aufgetaucht war, schien Wirklichkeit zu sein. Sie hatte eine Zeitreise ins achtzehnte Jahrhundert gemacht. Was nicht möglich schien, war ihr passiert. Sie fragte ein zweites Mal nach dem Datum, und er gab ihr dieselbe Antwort.
»Das kann nicht sein.«
»Vielleicht waren Sie längere Zeit ohne Bewusstsein nach einem Unfall. Woran erinnern Sie sich noch?«
An ein schwarz gestrichenes Kabinett und einem Tisch, auf dem sie gefesselt gelegen hatte. Das konnte sie ihm unmöglich sagen. Cecilia schluckte. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie gab einen erstickten Laut von sich, als sie sie zurückdrängte.
»Nicht weinen.« Capelli klopfte ihr auf den Rücken. »Ich kann heulende Frauen nicht ausstehen.«
»Ich auch nicht.« Sie lächelte tapfer.
»Tapferes Kind.« Er kniff ihr ins Kinn. »Das Beste wird sein, Sie kommt mit mir, Signorina Barbagli.«
»Wohin?«
»In meine Villa.« Er grinste. »Dort könnten wir eine Menge Spaß haben.« Einer seiner langen schlanken Finger strich über ihren Hals, fuhr über ihre Kehle und ihr Dekolleté hinunter, bis er von dem zugeknöpften Rock aufgehalten wurde.
Sein Parfum und der ihn umgebende Geruch nach Leder und Pferd begannen ihre Gedanken zu vernebeln. Stefano rückte in den Hintergrund. Sie wollte aus den Armen des Nobilhomo entfliehen, stieß aber mit dem Rücken an einen Baumstamm. Sie war zwischen dem Stamm und dem Edlen aus Venedig gefangen.
»Ich gehe mit Ihnen nirgendwohin. Lassen Sie mich los!«
Er tat ihr den Gefallen, schaute aber mit einem überlegenen Lächeln in ihr Gesicht. »Ich frage Sie noch einmal, wohin wollen Sie gehen?«
Ja, wohin? Sie kannte niemanden, wusste von keinen Verwandten in dieser Zeit. Und selbst wenn, die Leute würden sie kaum aufnehmen. Sie hatte kein Geld, nichts zum Anziehen, und bevor drei Tage vergangen wären, wäre sie eine Straßendirne geworden.
»Als was soll ich mit Ihnen kommen?«
»Da wird sich etwas finden.«
Selbst als Magd in seinem Haus zu leben war besser, als auf der Straße ein kümmerliches Dasein zu fristen. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken, und sie musste einen Weg in ihre Zeit zurückfinden. Vor allen Dingen wollte sie herausfinden, wie ihre Zeitreise vonstatten gegangen war – wenn Nicolò kein Schauspieler war, war dies vorerst die einzige Erklärung für ihn – und was sie verursacht hatte. Dann konnte sie wieder zurückkehren. So lange mochte sie in seinem Haus gut aufgehoben sein. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber sie war auch neugierig auf den Nobilhomo Capelli. Er schien ein Mann mit zwei Gesichtern zu sein, freundlich und sanft, wenn er lächelte, ansonsten arrogant und hochmütig. Und sie fand ihn anziehend, das gestand sie sich aber nur ganz im Geheimen ein.
»Ich komme mit.«
»Sehr vernünftig.« Galant reichte er ihr die Hand. Wieder blieb sein Blick dabei einen Augenblick auf dem Stein an ihrem Halsband hängen und führte sie dann zu seinem Pferd.
Ihre Hand schloss sich um den Stein. »Warum starren Sie immer so auf meinen Hals?«
»Das ist unhöflich von mir. Verzeihen Sie, aber Sie haben da einen ungewöhnlichen Stein, und er erinnert mich …« Er unterbrach sich. »Woher haben Sie ihn?«
»Das ist doch nur irgendein Stein. Billiger Modeschmuck.«
»Wenn das irgendein Stein ist, will ich nicht mehr Capelli heißen. Das ist ein lupenreiner Diamant.«
»Quatsch.«
»Bitte Signorina Barbagli, Ihre Sprache.« Capelli war zusammengezuckt, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen.
Ihre moderne Ausdrucksweise war offenbar nicht angebracht im achtzehnten Jahrhundert. Sollte sie das als weiteren Beweis dafür nehmen, dass er kein Schauspieler war?
Er stieg in den Sattel und hielt ihr die Hand hin, damit sie hinter ihm auf den Pferderücken klettern konnte. Erst beim zweiten Versuch gelang es ihr, einen Fuß in den Steigbügel zu setzen. Nicolò Capelli betrachtete zweifelnd ihre spitzen Schuhe.
»Die sind – enorme. Wenn Sie sich damit in Venedig sehen lassen,
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