Palazzo der Lüste
anschickte die Treppe hinaufzusteigen, wurde er wieder zum venezianischen Nobilhomo aus dem achtzehnten Jahrhundert.
»Auf diese Weise habe ich mich noch nie in mein Haus geschlichen.« So wie er das sagte, schien es ihm ein diebisches Vergnügen zu bereiten.
Er führte sie zwei Stockwerke hoch und durch eine unauffällige Tür in einen breiteren Flur.
Cecilia blieb die Luft weg angesichts der Pracht, die sie erblickte. Welten lagen zwischen dem kahlen Treppenaufgang und dem breiten Flur. Die Wände waren in Kassetten unterteilt, jede dritte davon war verspiegelt, die anderen mit kostbaren Seidentapeten bespannt, auf denen sich Pfauen in exotischen Gärten tummelten. Die Decke war mit antiken Szenen bemalt. Cecilia entdeckte Götter, Helden und ätherisch wirkende Jungfrauen. In Wandhaltern brannten eine Vielzahl von Kerzen und verbreiteten warmes Licht; in regelmäßigen Abständen standen zierliche Stühle an der Wand aufgereiht, die Sitzpolster hatten zu den Tapeten passende Bezüge.
Die Wandbespannung passte nicht zur Deckenmalerei, offenbar war sie später hinzugefügt worden. Er bemerkte ihren abschätzenden Blick und fühlte sich verpflichtet zu sagen: »Unter den Tapeten sind Wandmalereien, die restauriert werden müssten. Stattdessen hatte der älteste Bruder meines Vaters die Tapeten anbringen lassen. Er hatte nur wenig Sinn für Schönheit.«
»Und Ihr Vater?«
»War auch nicht gerade in überreichem Maße damit gesegnet.«
»Und Sie?« Cecilia konnte die Frage nicht zurückhalten, obwohl sie vielleicht unhöflich war.
»Ich bin noch nicht dazu gekommen, diesen Frevel rückgängig zu machen.«
Der Flur war bestimmt an die dreißig Meter lang, auf der einen Seite gab es mindestens sechs Türen und auf der anderen Seite nur zwei. Zu einer davon führte Capelli sie.
»Das sind meine privaten Wohnräume.«
Sie hatte kaum Zeit, die Einrichtung in sich aufzunehmen – jedenfalls war der Raum kostbar und überwiegend in Blautönen eingerichtet – denn er führte sie schnell durch das Zimmer, das ein Salon war, in einen zweiten, ganz ähnlich eingerichteten Raum und von da aus in einen dritten. Dieser wurde von einem großen Bett unter einem weißen Baldachin beherrscht. Er hatte sie in sein Schlafzimmer gebracht.
Er wollte … Cecilia blieb mit einem Ruck stehen. Überrascht drehte er sich zu ihr um, seine grauen Augen funkelten belustigt.
»Sie können vorerst hier bleiben, Signorina Barbagli. Ich muss nach der Bande von Nichtsnutzen sehen, die sich meine Freunde nennen, und die augenblicklich meine Gäste sind. Nach dem Abendessen werde ich zu Ihnen zurückkommen.«
Während er das sagte, hatte er eine in der Wand kaum zu erkennende Tür geöffnet. Sie führte in ein Ankleidezimmer.
Er zog sich einen blauen, mit Silberfäden bestickten Rock an und setzte eine weiße gepuderte Perücke auf. Völlig verwandelt kam er ins Schlafzimmer zurück – er wirkte wie die Figur aus einer der Geschichten, die sie als Kind geliebt hatte, und nicht mehr wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Nicht mehr wie jemand, mit dem man sprechen kann, dachte Cecilia, und doch wusste ihr Körper es besser. Er erinnerte sich daran, wie Nicolò Capelli sich auf dem Pferderücken angefühlt hatte und eine Sehnsucht, von der sie sich nicht eingestehen wollte wonach, ergriff von ihr Besitz.
»Signore Capelli, mir fehlen die Worte über Ihre Erscheinung.«
»Etwas Besseres bringe ich ohne die Hilfe meines Kammerdieners nicht zuwege, aber solange Sie in meinem Schlafzimmer sind, bleibt er besser fern.« Er betrachtete sich kritisch im Spiegel, schnippte ein unsichtbares Stäubchen von seinem Ärmel.
»Das meinte ich nicht«, beeilte sie sich zu sagen. »Sie sehen prächtig aus.«
»Für ein Abendessen en famille reicht es gerade. Wenn ich zurückkehre, bringe ich Ihnen etwas zu essen mit.«
Nachdem Capelli mit langen Schritten den Raum verlassen hatte, sank Cecilia auf ein hinter ihr stehendes Ruhebett. Sie stützte den Kopf in die Hände. Es hätte nicht viel gefehlt, und ein herzzerreißendes Schluchzen hätte ihren Körper geschüttelt. Ihr Leben war aus den Fugen geraten, sie war hilflos in einer fremden Zeit, in einer fremden Villa voller Kunstschätze und wusste nicht, wie sie wieder in ihr Zeitalter zurückkommen sollte, aber anstatt, dass sich ihre Gedanken einzig und allein darum drehten, wieder nach Hause zurückzukehren, stahl sich die Persönlichkeit
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