Palazzo der Lüste
ihren neuen Besuchern.
»Haben Sie etwas gesagt, Verwandte?«, erkundigte sich genau jener Schuldige.
Cecilia zuckte zusammen, sie war in Gedanken weit fort gewesen. »Nein, nichts.«
Sie schaute ihn forschend an. Hatte sie ihre Gedanken laut ausgesprochen?
Sofia machte ihr mit den Augen ein Zeichen, dass es Zeit wurde, den Besuch zu beenden.
In der Gondel ließ Nicolòs Mutter ihren Gefühlen freien Lauf. »Ich habe getan, worum Sie mich gebeten haben, aber erwarten Sie nicht von mir, dass ich mir das Schauspiel der trauernden Mutter noch einmal ansehe. Termine!«
»Bestimmt nicht, Signora.«
Kapitel 12
Der Besuch der beiden Polizisten hatte Nicolò nicht beunruhigt – schließlich war er ein Patrizier aus einer angesehenen Familie, wie sollte ihm da ein verlorener Handschuh gefährlich werden? Er sah auch keinen Grund, eine schon seit langem geplante Soiree mit seinen engsten Freunden abzusagen. Er entschied sich sogar dafür, Cecilia mitzunehmen. Nachdem sie so viel Spaß an den Spielen mit Tommaso und Auriana gehabt hatte, würde ihr dies sicher gefallen, und es war an der Zeit für eine weitere Lektion in Sachen Libertinage.
Sie war überrascht, als er ihr die Einladung – geschrieben auf schwerem Büttenpapier – überreichte. Noch überraschter war sie, als sie las, dass sie als Herr gewandet erscheinen sollte, und dass man sie Conte Carlo nennen würde. Sie dachte an das Treffen einer Geheimgesellschaft, die im achtzehnten Jahrhundert sehr in Mode gewesen waren. Das passte nicht zu Nicolò – und Soiree hörte sich so an, als wollten sie Geister beschwören. Das wurde richtig abenteuerlich, Cecilia lächelte in sich hinein. Sie würde jedenfalls auf eine aufregende, sinnliche Nacht gefasst sein.
Wenn sich Gianna wunderte, dass sie ihre Herrin als Mann einkleiden sollte, so zeigte sie es jedenfalls nicht. Mit der gewohnten Akkuratesse half sie Cecilia am späten Nachmittag in einen schwarzen Anzug. Piroll hatte ihn gebracht.
Cecilias Herz klopfte bis zum Hals, als sie gegen halb zehn Uhr abends vom zweiten in den ersten Stock hinunterging. Nicolò holte sie ein. Er begrüßte sie nicht mit dem üblichen Handkuss, sondern schlug ihr auf die Schulter, wie er es bei einem guten Freund tun würde.
»Mein Verwandter, der Conte Carlo«, sagte er jovial. »In diesem Kreis bin ich nur der Marchese. Denken Sie immer daran.«
»Was wird das für eine Soiree?« Cecilia konnte ihre Neugier nicht bezähmen.
»Wir werden einen gemütlichen Abend haben, ein wenig Karten spielen, eine oder zwei Geschichten hören, uns ein wenig unterhalten.«
Er nahm nicht den Weg außen am Haus über die Wendeltreppe, sondern führte sie ganz am Ende des Flures zu einer hinter einem Vorhang halb versteckten Tür. Dahinter befand sich eine schmale Stiege, die sowohl nach oben als auch nach unten führte.
»Es gibt doch eine innenliegende Treppe vom ersten Stock ins Erdgeschoss«, wunderte sich Cecilia.
»Das ist ein Haus mit Fluchtwegen.« Er grinste frech. Im trüben Licht des Treppenhauses wirkte sein Gesicht dämonisch. Ihr lief ein köstlicher Schauer über den Rücken.
»Seien Sie ernst mit Conte Carlo. Das ist eine Treppe für die Diener.«
»Damit sie vor der Herrschaft flüchten kann.«
»Ach, Sie!« Cecilia puffte ihn in die Seite.
Am Ende des Gangs, spärlich erleuchtet von einer Fackel, öffnete Nicolò eine Tür aus alten Bohlen, die von starken Eisenbändern zusammengehalten wurde. Die Tür zu einem der Verliese. Unmittelbar nach ihnen kamen drei Herren die Treppe herunter. Sie eilten den Gang entlang und holten Cecilia und Nicolò an der Tür ein.
Cecilia war sich sicher, dass es sich bei einem von ihnen um eine Frau handelte, die ebenso wie sie verkleidet war. Nicolò stellte die Besucher als Vicomte Paolo, Conte Alvise und Duca Stefano vor – die Frau war der Vicomte, der mit einem verschmitzten Lächeln Cecilias Hand schüttelte. Es kam noch ein weiterer Besucher, der als Vicomte Giorgio vorgestellt wurde.
Das Verlies entpuppte sich als ein großer, kahler Raum. Er wurde von einem Steinblock beherrscht, der wie ein Altar in der Mitte stand. An seinen Seiten waren mehrere Ringe eingelassen. In allen vier Ecken des Verlieses steckten Fackeln in Wandhaltern. Mehr Licht und Wärme – als diese spendeten – gab es nicht.
Der Boden war mit abgetretenen Teppichen bedeckt. An einer Wand stand ein staubiges Regal, das als Kredenz diente,
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