Pallieter
blickte die Landstraße entlang; und dort kam die Prozession in einer Wolke von sonnendurchschimmertem Staub.
Pallieter ritt ihnen entgegen...
Wohl an die tausend Menschen waren es, die nun, als die Musik schwieg, die voranzog mit Kreuz und Priestern im Chorhemd und rotgekleideten Chorknaben, anfingen, laut ihren Rosenkranz herunterzuleiern. Es war, als ob das dumpfe Gemurmel aus der Erde dränge. All die Menschen, Frauen, Männer, Bauern, Beginen und Kinder, waren grau vom Staub, der vor ihren müden Füßen aufwirbelte. Ihre roten, staubigen Gesichter tropften von schmutzigem Schweiß, und viele hatten sich Taschentücher, in Wasser getaucht, um den Kopf gebunden. Manche ließen das Wasser einfach heruntertropfen, und wenn es ihnen an die Oberlippe kam, leckten sie es mit der Zunge ab.
Die Männer hatten die Röcke ausgezogen und die Frauen ihre sittsamen Jacken oben geöffnet. Manche tranken aus warmgewordenen Bierflaschen und spuckten schleimigen Speichel aus, andere legten sich auf den Boden und tranken aus dem nebenherfließenden Bach.
Die Mutigsten und die Frömmsten waren vorne und beteten mit, während weiter hinten sich die Frömmigkeit verminderte und laute Gespräche geführt wurden. Diejenigen, die nicht mitkamen mit dem Haufen, liefen neben dem Weg in dem lockeren Sand, der sie sofort in eine Wolke einhüllte, oder sie warteten auf die zwei gelben, schiefhängenden Omnibusse, die hinter dem Zuge angewackelt kamen.
Sie lief unordentlich durcheinander, die Prozession. Unter dem Sonnenschirm einer Begine ging ein ungewaschener Gassenjunge aus irgendeinem Hinterhause, und unter dem eines Vornehmen eine schmutzige Frau mit einem mageren, schreienden Kind.
Ein schwindsüchtiger Junge, halbtot und gelb wie Wachs, wurde auf einem Rollwägelchen mitgeführt, und hinter ihm kamen Männer auf Krücken, Frauen mit kranken und schreienden Kindern, und ein Blinder.
Hei! die tausend wallfahrenden Menschen, mit dem Rauschen der bestaubten Kleider, Kindergeschrei, Geschwätz und müdem Füßeschleifen, und dann der flaue, kränkliche Geruch von schwitzendem Menschenfleisch; es war etwas Entsetzliches an diesem heißen Sommertag, etwas, was man sich nur im Traum vorstellen kann.
Und so unter diesem gewaltigen Himmel, an dem einzig und allein ein gelber Luftballon hing, mußten sie noch vier Stunden weiter durch das glühende Land, das heiß war wie ein Backofen, um niederknieen zu können vor dem kleinen, sehr wundertätigen, schwarzen Muttergottesbildchen von Scherpenheuvel.
»Hei!« Und Pallieter zitterte vor Rührung, und Tränen traten ihm in die Augen, als er die Menschenmenge sah, so voller Glauben und Seelenfeuer.
Aber da sah er Charlot, die ihm fröhlich zulachte, umringt von Betschwestern und Beginen, und da fiel seine Rührung ineinander wie ein leerer Sack; denn er dachte sofort an all die Menschen, von denen Charlot ihm erzählt hatte, warum sie mitgingen.
Unter anderen: die Frau eines Arztes, damit ihres Mannes Geschäfte besser gehen möchten; der Wirt aus dem ‚kupfernen Elefanten’, auf daß seine im achten Monat schwangere Frau einen kräftigen Sohn gebäre; Arnold van Sichern, Uhrmacher, damit sein zweiter Sohn von den Soldaten freikomme, und der andere, der schon Unteroffizier war, Leutnant werden möge (der Vater wollte, daß der erstere sein Geschäft weiterführen sollte); Bauern, auf daß es regne für die Kartoffeln, und junge Studenten, die eine Fahnenweihe feiern wollten, auf daß es nicht regne, usw.
Das waren die, von denen er wußte; wie mußten erst die andern sein!
Und Pallieter rief einer mageren Betschwester zu: »Böse Sieben.« Die Betschwester sah nicht auf, wurde aber weiß wie Schnee.
Und als sie vorbeigegangen waren, sagte er: »Wo sind sie, die da beten, wie es Ruisbroeck befiehlt?« Und er zitierte: »Das allein heißt Gott besitzen — glauben und lieben, nicht um unser Gewissen —noch um unsere Ehre —noch um unsere Seligkeit — noch um etwas, das er uns geben möchte —, sondern allein um seiner selbst willen — und zu seiner ewigen Ehre sollen wir ihn lieben.—Und das ist vollkommene Gnade. — Damit sind wir treue Knechte — und wohnen in ihm und er in uns...«
»Wer anders betet,« fügte Pallieter hinzu, »is wie ein Kind im Laufställchen.« Dann ritt er weiter, über Feldwege, an Dörfern und Gehöften vorbei, und nach langer Zeit sah er über den Bäumen das blaue Türmchen von Mariechens Dorf herausgucken. Sein Herz begann zu pochen, und er
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