Palzki 09 - Ahnenfluch
Erst die Professorin, dann der tote Wischniewski und jetzt auch noch Rocksinger, der sich Urlaub genommen hat.
»Sie haben Ihren Chef nicht zufällig heute gesehen?«
Sie lachte kurz auf. »In seinem Urlaub? Niemals. Ich habe keine Ahnung, was er heute vorhat. Ich habe ihn gefragt, aber er hat es mir nicht verraten.«
»Hm«, sagte ich, weil mir zunächst nichts Sinnvolleres einfiel. »Ich denke, es wäre das Beste, zu ihm zu fahren. Hätten Sie für mich zufällig seine Privatadresse? Keine Angst, er wird nicht erfahren, wo ich sie her habe.« Mit einem Schmachtblick schaute ich sie an. Das wäre aber nicht nötig gewesen.
»Klar schreibe ich Ihnen die auf. Das darf ich zwar nicht, aber solchen Kerlen muss das Handwerk gelegt werden.«
Sie riss ein Blatt von einem Notizklotz und notierte mir die Adresse Rocksingers.
»Vielen Dank«, sagte ich, als sie mir das Blatt gab. »Halten Sie auf jeden Fall die Augen weiter auf. Dann kommen wir dem Geheimnis gemeinsam auf die Spur.«
Ich verabschiedete mich und wir waren beide zufrieden. Was will man mehr?
»Du hast die Dame ganz schön um den Finger gewickelt«, meinte Jutta. »Machst du das öfter?«
Ich grinste sie an. »Grundsätzlich mit allen Frauen. Nur die meisten merken es nicht.«
Da Rocksinger in Neustadt wohnte, war ich den Extremtemperaturen in Juttas Wagen vollkommen ungeschützt längere Zeit ausgeliefert. Während ich halb schwitzend und halb brennend fast ins Delirium fiel, geisterten die seltsamsten Ideen durch mein Hirn. Waren es bereits Endzeitfantasien meines sterbenden Geistes oder waren es geniale Eingebungen? Ich hatte mal gelesen, dass das Gehirn in Situationen, die außergewöhnlich bis lebensbedrohlich waren, auf bizarre Lösungsvorschläge kam. Es spielte einfach im Sinne eines Brainstormings alle möglichen und unmöglichen Varianten durch.
In Verbindung mit der Leiche von Wischniewski kam ich auf den Gedanken zu einem neuartigen und kostengünstigen Verfahren zur Mumifizierung. Man müsste die zu mumifizierende Leiche einfach eine halbe Stunde zu Jutta in den Wagen setzen. Dies würde reichen, um sämtliche Körperflüssigkeiten verdunsten zu lassen. Wahrscheinlich würde sich meine Kollegin aber weigern, Leichen als Beifahrer zu dulden.
Es rächte sich, dass Jutta aus Prinzip ohne Navi unterwegs war. Sie fuhr in Neustadt-Nord von der Autobahn über den fast schon überregional bekannten Groß-Kreisel in die Stadt. An der Tankstelle hielt sie und bat mich, nach dem Weg zu fragen. Dabei müsste sie doch wissen, dass ein Mann aus genetischen Gründen niemals nach dem Weg fragt. Vielleicht mit einer einzigen Ausnahme: Die Temperaturen innerhalb des Wagens entsprachen dem Sonnenzentrum.
»Was ist mit Ihnen los?«, fragte mich der Mann hinter der Kasse entgeistert. »Ist Ihnen nicht gut? Soll ich einen Notarzt rufen?«
»Es geht schon«, quetschte ich heraus, während der Schweiß auf den Boden tropfte. »Bei uns im Wagen lässt sich die Heizung nicht abstellen. Wir müssen aber nicht mehr weit. Können Sie mir bitte sagen, wo die Herzogstraße ist?«
»Da sind Sie hier aber verkehrt. Sie müssen nach Königsbach.«
»Nein, nein, da muss ein Irrtum vorliegen. In Neustadt muss es auch eine Straße geben, die so heißt.«
Der Mann lachte. »Sie sind nicht von hier, stimmt’s? Eigenartig, dem Dialekt nach könnten Sie Pfälzer sein. Wo kommen Sie her?«
Es gelang mir nach einigem Hin und Her zu erfahren, dass Königsbach ein nördlich von Neustadt gelegener Ortsteil war. Als Schifferstadter musste man schließlich nicht alles wissen. Ich bedankte mich und versuchte, die verzwickte Wegbeschreibung im Gedächtnis zu behalten.
Mein unfehlbarer Instinkt und mein untrügliches Gedächtnis führten uns in Kombination auf Anhieb zur Herzogstraße: Norden ist dort, wo die Berge links sind. So einfach ist die Orientierung in der Rheinebene. Zumindest linksrheinisch. Und linksrheinisch ist dort, wo der Rhein rechts ist. Leserinnen können das gern anhand einer Karte überprüfen.
»Die Wärme scheint dir gut zu tun«, meinte Jutta, die nicht ein einziges Schweißperlchen auf ihrer Stirn zeigte. »Du bist das beste Navi, hier beginnt die Herzogstraße.«
Als meine Kollegin auf der linken Seite auf ein Gebäude zeigte, das 50 Meter von der Straße zurückversetzt stand, stöhnte ich auf. »Schon wieder altes Zeug. Hoffentlich ist da kein Museum drin.«
Das herrschaftliche Gebäude sah aus, als würde es einem Edgar-Wallace-Film der 60er-Jahre
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