Pampelmusenduft (St. Elwine) (German Edition)
hieß sie willkommen. Alles schien noch genauso auszusehen wie in ihrer Erinnerung und doch war es anders. Charlotte spürte, dass ihre innere Anspannung während der Busfahrt stetig gewachsen war. Zwischen ihren Schulterblättern ballten sich die Muskeln und Sehnen zu einem Knoten. Auch die Episode mit Tyler O´Brian lag jetzt hinter ihr. Noch immer war ihr der kleine Schwächeanfall in seinem Hotelzimmer peinlich. Doch zum Glück würde sie diesen Mann ja nie wiedersehen.
Als sie vor zwei Tagen die Räume ihrer Freundin betreten hatte, war di e se einigermaßen erstaunt gewesen.
„Wo warst du nur so lange? Ich habe mir bereits Sorgen gemacht.“
Charlotte berichtete und blieb halbwegs bei der Wahrheit. Allerdings behielt sie auch einiges für sich.
„Das soll ich dir glauben?“ Faye klang wenig überzeugt.
„Tu es oder lass es bleiben!“
Im Laufe des Tages fand Faye in ihrem Fach eine Mitteilung, dass Mr. O´Brian keine Betreuerin mehr für den Rest seines Aufenthaltes benötigte, da er die Stadt bereits am nächsten Tag wieder verlassen würde. Diese Tatsache hätte sie zutiefst beunruhigt, wenn da nicht neben der Notiz noch Tickets für das Benefizkonzert am Abend gesteckt hätten. Faye war ganz aus dem Häuschen geraten und Charly tat ihr den Gefa l len, sie zu begleiten. Obwohl sie sich anfangs dagegen gesträubt hatte, musste sich Charlotte widerwillig eingestehen, dass ihr das Konzert g e fiel. Da sie nicht auf Rockmusik stand, hatte sie auf ganz andere Dinge geachtet. Beispielsweise auf die Wahl der Gaststars und das Konzept der Show. Alles schien gut durchdacht und die Live-Atmosphäre tat ihr ü b riges, um die Zuhörer zu wahren Begeisterungsstürmen hinzureißen. Und dann kam er. Seine Band begann langsam und eindringlich. Sie spielten mit Gitarren und einer Mundharmonika. Tyler zog sofort das Publikum in seinen Bann. Selbst Charly hatte sich dem nicht entziehen können. Als er leise zu singen begann, schien seine Stimme sie zu liebkosen.
„Liebe hätte sie vielleicht retten können. Ich sah schon lange die Schatten, schon als sie noch lächeln konnte. Sie war nicht stark genug für di e se Welt. Doch Liebe hätte sie vielleicht retten können.“
Bei seinen Worten war ihr ein Schauer über den Rücken gelaufen und eine starke Schwermut hatte sie erfasst. Nur mit Mühe war es ihr schließlich gelungen, ihre stolpernde Atmung zu bezwingen. Dann war ein gefühlvolles Schallala, Schallala, Schallala gefolgt - das sich wie der Hauch einer Berührung über sie gelegt hatte. Im Hintergrund hatte Charlotte das Zupfen der Gitarrensaiten und die eindringlichen gospelartigen Soulstimmen der Chorsängerinnen ausmachen können. Mit dem Song „Desiree“ war es rockig geworden auf der Bühne. Charly war es fast so vorgekommen, als hätte er nur für sie gesungen. Was natürlich völliger Blödsinn war, denn Faye und die anderen nahmen ebenfalls für sich in Anspruch, dass er allein sie meinen könne. Ihre Freundin hatte i h re Begeisterung heraus gebrüllt.
Der Bus hielt jetzt und riss Charly aus ihren Gedanken. Sie erhob sich und stieg aus. Mühelos fand sie das Haus ihres Großvaters. An der Pforte prangte noch immer das Schild. Dr. Johann Svenson - Zahnarzt, es folgten die Sprechzeiten und anschließend der Hinweis: Auf Wunsch auch nach Vereinbarung. Das Schild war bereits ein bisschen verwittert. Charlotte ging die Auffahrt entlang. Hinter dem Fenster machte sie eine plötzliche Bewegung aus und blieb zögernd stehen. Die Tür wurde hastig aufgerissen und dann stand er auf einmal da und lächelte sie an. Charlotte flog in seine Arme und es kam ihr so vor, als wäre sie wieder ein kleines Mädchen. Er drückte sie fest an sich, während Tränen der Rü h rung über seine Wangen liefen.
„Du bist wirklich und wahrhaftig gekommen, mein Kind. Ich kann es kaum glauben. All die langen Jahre, in denen ich mich Tag für Tag gefragt habe, wie es dir wohl geht. Lass dich anschauen, Charly!“ Er hielt sie auf Armeslänge von sich. Strich durch ihr langes blondes Haar, fuhr mit einem Finger sachte über ihre Wange. „Du hast keine Stupsnase mehr.“
Sie lächelte ihn warm an. „Zum Glück. Ich bin mittlerweile sechsunddreißig Jahre alt. Wie würde ich wohl damit aussehen?“
„Du siehst zauberhaft aus, Charly. Viel hübscher, als ich es mir immer vorgestellt habe. Tatsächlich, sechsunddreißig, das weiß ich natürlich. Aber ich sage dir, du siehst keinen Tag älter aus
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