Pamuk, Orhan
gleichgültig.«
Doch der Oheim Efendi ist ja kein
Illustrator, mußte ich denken, während ich unter Tränen die Hand voller
Altersflecken küßte. Sofort aber schämte ich mich dieses Gedankens. Es war,
als ob ein anderer mir diese teuflische, hochmütige Idee einflüsterte. Ihr
wißt aber, daß ich trotz allem richtig gedacht hatte.
»Ich fürchte sie nicht«, erklärte
der Oheim Efendi, »denn ich fürchte mich nicht vor dem Tod.«
»Sie«, wer sollte das sein? Ich
nickte mit dem Kopf, als wüßte ich, wen er gemeint hatte. Doch in meinem Innern
regte sich Zorn. Ich sah, daß der alte Band, der neben dem Oheim lag, das Kitab-ur
Ruh des Al-Dschauzijja war. Kindische Greise, die sich nach dem Sterben
sehnen, schwärmen für dieses Buch, das von den Abenteuern der
Seele nach dem Tod erzählt. Unter
den Schreibzeugbüchsen, Messern und Täfelchen zum Rohrspitzen, den
Tintenfäßchen und Schreibrohrschachteln, unter all den Gegenständen auf den Tabletts,
dem Schreibkasten und der Truhe hatte sich, seit ich zuletzt hiergewesen war,
etwas Neues eingefunden: ein Tintenfäßchen aus Bronze.
»Beweisen wir doch, daß wir uns vor
ihnen nicht fürchten«, sagte ich mutig. »Holt das letzte Bild hervor, damit
wir's ihnen zeigen!«
»Zeigt ihnen das nicht, daß wir
ihren Verleumdungen Wert beimessen, sie zumindest ernst nehmen? Warum sollten
wir uns fürchten, wo wir doch nichts getan haben, was dazu Anlaß gäbe? Was
könnte denn sonst noch deine Angst rechtfertigen?«
Wie ein Vater streichelte er mein
Haar. Ich fürchtete, mir würde wieder das Wasser in die Augen schießen, und
umarmte ihn.
»Ich weiß, warum der arme
Ornamentierer Fein Efendi umgebracht wurde«, erklärte ich aufgeregt. »Fein
Efendi wollte Euch, Euer Buch, uns alle anschwärzen und die Männer des Nusret
Hodscha von Erzurum auf uns hetzen. Er war zu dem Schluß gekommen, daß man
hier dem Satan huldige und dem Glauben abgeschworen habe, und er hatte
begonnen, dies überall zu verbreiten und auch die anderen für Euer Buch tätigen
Illustratoren gegen Euch aufzubringen. Warum er das auf einmal tat, weiß ich
nicht. Vielleicht aus Eifersucht oder weil er auf den Teufel hörte. Auch die
anderen Illustratoren haben gehört, wie entschlossen der Fein Efendi gewesen
ist, uns alle zu verderben. Ihr könnt Euch denken, daß sie sich alle ängstigen
und genau wie ich schlimme Zweifel hegen. Und eines Nachts hat einer von ihnen
den Fein Efendi in die Enge getrieben, weil der Mann gegen Euch, gegen uns,
unser Buch, die Illustration, das Bild, gegen alles hetzte, woran wir glauben,
ist dabei in Panik geraten, hat den Schuft umgebracht und in den Brunnen
geworfen.«
»Schuft?«
»Der Fein Efendi hatte eine
verräterische Natur, war ohne jeden Charakter, ein undurchsichtiger Bursche!«
rief ich, als stünde er mir hier im Zimmer gegenüber.
Es wurde ganz still. Fürchtete der
Oheim sich vor mir? Ich fürchtete mich vor mir selbst. Mir schien, der
Zornessturm eines fremden Verstandes habe mich mitgerissen, aber es war schön.
»Wer ist dieser Illustrator, der
gleich dir und dem aus Isfahan in Panik geriet? Wer hat ihn getötet?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich,
wollte aber gleichzeitig, daß er mir die Lüge vom Gesicht ablas. Und ich
begriff, wie falsch es gewesen war, hierherzukommen. Doch überließ ich mich nun
keineswegs irgendwelchen Schuld- oder Reuegefühlen. Ich sah, daß der Oheim
Efendi mich verdächtigte, das gab mir Kraft, und ich genoß es. Ob gottlos oder
nicht, ich brannte darauf zu sehen, was aus dem letzten Bild geworden war, und
es schoß mir durch den Kopf, daß er es hervorholen und mir zeigen müsse, wenn
ihm jetzt richtig klar würde, daß ich der Mörder war.
»Ist es wirklich so wichtig zu
wissen, wer diesen elenden Kerl umgebracht hat?« fragte ich. »War es nicht
vielmehr eine gute Tat, ihn zu beseitigen?«
Daß er mir nicht direkt in die Augen
blickte, machte mir Mut. Hohe Persönlichkeiten, die meinen, besser und
tugendhafter als ihr zu sein, können euch nicht direkt anblicken, wenn sie sich
eurer schämen. Vielleicht, weil sie dann überlegen, wie sie euch anschwärzen
und den Folterknechten ausliefern sollen.
Draußen, genau vor dem Hoftor,
begannen ein paar Hunde wie tollwütig zu bellen.
»Es schneit wieder«, sagte ich. »Wo
sind denn alle anderen jetzt zu dieser Abendstunde? Warum hat man euch so
allein gelassen hier im Haus? Nicht einmal eine Kerze hat man angezündet.«
»Das ist sehr, sehr seltsam«,
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