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Pamuk, Orhan

Pamuk, Orhan

Titel: Pamuk, Orhan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rot ist mein Name
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während meiner Rede
hinzuphantasierte, weiß ich nicht. Nachdem ich mir den Mund fusselig geredet
hatte, hoffte ich nun, der Oheim Efendi werde das zweiseitige Bild hervorholen,
mir zeigen und mich damit beruhigen. Warum konnte er nicht begreifen, daß es
mir nur so möglich sein würde, mich von der Angst zu befreien, ich hätte eine
Sünde begangen?
    Weil ich ihn aufrütteln wollte,
fragte ich unverhofft: »Kann der Mensch ein Bild malen, ohne zu merken, daß es
den Glauben lästert?«
    Statt einer Antwort machte er eine
zarte Bewegung mit der Hand, als wolle er mich darauf hinweisen, daß ein Kind
im Zimmer schlief, und ich schwieg. Dann flüsterte er: »Es ist sehr dunkel geworden,
zünden wir den Leuchter an.«
    Als ich die Kerze an der Glut des
Kohlenbeckens entzündete, sah ich einen stolzen Zug auf seinem Gesicht, der mir
gar nicht gefiel. Oder war es ein Ausdruck des Mitleids? Hatte er alles
begriffen und dachte, ich sei nichts weiter als ein gemeiner Mörder, oder
fürchtete er sich vor mir? Ich erinnere mich, daß mir plötzlich war, als hätten
sich meine Gedanken selbständig gemacht und liefen davon, und ich verfolgte voller
Staunen, was ich selbst in diesem Augenblick dachte, als seien es die Gedanken
eines anderen. Der Teppich am Boden: Warum wohl war mir die wolfsähnliche
Gestalt in einer seiner Ecken bisher nicht aufgefallen?
    »Es gibt drei Jahreszeiten für alle
Chans, Schahs, Padischahs und Wißbegierige, die das Bild, die Illustration und
schöne Bücher lieben«, erklärte der Oheim Efendi. »Zuerst sind sie mutig,
zutraulich und neugierig. Da sie das Bild bei anderen sehen, möchten auch sie
es ihres Ansehens wegen besitzen. In dieser Jahreszeit lernen sie, in der
zweiten lassen sie Bücher nach Wunsch zum eigenen Vergnügen anfertigen. Da sie
durch das Anschauen von Bildern auch gelernt haben, Gefallen daran zu finden,
genießen nicht nur sie, sondern auch die Bücher Ansehen, die sie nach ihrem
Tod in dieser Welt hinterlassen. Doch im Herbst des Lebens gibt kein Padischah
mehr etwas auf die irdische Unsterblichkeit. Was ich unter dieser
Unsterblichkeit verstehe, ist das Erinnern unserer Enkel, der uns folgenden
Generationen. Die Liebhaber der Buchmalerei unter den Herrschern haben sich
ohnehin mit jenen Büchern, in die sie ihre Namen einsetzen und manchmal auch
ihre eigene Geschichte aufzeichnen ließen, Unsterblichkeit in dieser Welt
erworben. Im Alter wünschen sie nur noch, sich in der anderen Welt einen guten
Platz zu sichern. Und im Bild sehen sie dann alle sofort ein Hindernis ihres
Wunsches. Das ist es, was mich am meisten bekümmert und in Angst versetzt. Als
sich das Leben des Schah Tahmasp, der selbst ein Meisterillustrator gewesen war
und seine Jugend in einer Buchmalerwerkstatt verbracht hatte, dem Ende
zuneigte, schloß er seine Werkstatt, schickte die Wundermaler aus Täbris fort,
zerstreute die Bücher, die er hatte anfertigen lassen, in alle Winde, und
verfiel dem Reuewahn. Warum glauben sie alle, das Bild würde die Pforte des
Paradieses vor ihnen verschließen?«
    »Ihr wißt, warum! Weil sie sich
daran erinnern, daß unser heiliger Prophet gesagt hat, Allah werde die Maler
am Jüngsten Tag aufs härteste bestrafen.«
    »Nicht die Maler«, hielt der Oheim
Efendi dagegen, »sondern den Musavvir. Das ist eine fromme Überlieferung
von Buchari.«
    »Am Jüngsten Tag soll den vom Musavvir geschaffenen Abbildern Leben eingehaucht werden«, sagte ich vorsichtig.
»Weil er aber nicht imstande sein wird, irgend etwas zu beleben, wird er zu Höllenqualen
verdammt werden. Vergessen wir nicht: Musavvir ist der Name Allahs im
Koran, des Schaffenden, des Schöpfers. Es ist Allah, der das Nichtseiende ins
Sein ruft, der das Leblose belebt. Niemand darf sich mit ihm messen. Daß die
Maler sich unterfangen, Sein Werk zu tun, und behaupten, auch sie würden gleich
Ihm erschaffen, ist die größte Sünde.«
    Ich hatte in einem scharfen Ton
gesprochen, als würde ich auch ihn bezichtigen. Er schaute mir gerade in die
Augen.
    »Bist du der Meinung, wir hätten
dies getan?«
    »Niemals«, erwiderte ich lächelnd.
»Doch der selige Fein Efendi muß es wohl geglaubt haben, nachdem er das letzte
Bild im ganzen sah. Bilder mit der Kunst der Perspektive zu machen und sich der
Methoden der fränkischen Meister zu bedienen, soll er gesagt haben, sei die
satanische Verführung. Wir hätten im letzten Bild die fränkischen Methoden
benutzt und das Gesicht eines Toten so dargestellt, daß es beim

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